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"Kirche ist offen für jeden"

Von Nadine Albach

Reiche Bilderwelten bietet die Bibel – und das Jahresthema 2015 inspiriert dazu, sie neugierig zu erkunden: Die Evangelische Kirche von Westfalen hat ihre Entdeckungsreise unter das Motto „gotteswort- Reformation. Bild. Bibel“ gestellt. Präses Annette Kurschus spricht im Interview über das Verhältnis von Glauben und Bildern sowie der Aktualität des Themas angesichts aktueller Eindrücke von Gewalt und Terror.

Präses Annette Kurschus (Foto: EKvW)

 

Welche Chance sehen Sie in dem Jahresthema 2015?

Ich hoffe, dass dieses Jahr vielen Menschen einen neuen Zugang zur Bibel, zu ihrer Bilderwelt und auch ihrer Lebensbezogenheit eröffnet. Die Bibel ist zwar noch Allgemeingut – aber die Kenntnisse nehmen ab, das merkt man zum Beispiel im Gespräch mit Konfirmandinnen und Konfirmanden. Deswegen wäre es schön, wenn die Menschen die Geschichten wiederentdecken und merken, dass es ein Buch voller Leben und für das Leben ist. Ich hoffe aber auch, dass viele Gespräche über und mit der Bibel stattfinden. Ich glaube, es liegt eine große Chance darin, wenn Menschen ins Fragen kommen - das ist wertvoll, auch wenn sie nicht immer Antworten finden. Aber möglicherweise finden sie in der Bibel sogar den einen oder anderen Hinweis, der ihnen weiterhilft.

 

Das Motto der Landeskirche heißt „gotteswort- Reformation. Bild. Bibel“. Das Wort steht also im Vordergrund. Steht das nicht im Widerspruch dazu, dass es um das Bild gehen sollte?

Das ist hoffentlich die schöne Entdeckung: Mit „Wort“ verbindet man ja erst einmal etwas sehr Kopfbezogenes, Intellektuelles, das vorwiegend den Verstand anspricht. Die Besonderheit des biblischen Wortes ist aber, dass es zum Erleben ist. Es ist Gottes Wort, das in jede Zeit anders hineinspricht, das durch Menschen-Mund geht und von Propheten, Männern, Frauen, Kindern weitergegeben wird. Von daher liegt in dem Motto die Chance, dass gerade dieser scheinbare Widerspruch am Ende vielleicht als aufgelöst gelten kann.

 

Die Bibel ist nicht grundlegend gegen Bilder

 

Sie verstehen das Wort Bild also eher im Sinne von Vorstellung?

Zum einen geht es um innere Bilder und Geschichten. Aber natürlich geht es auch um die Künstler in der Kirchengeschichte, die Gottes Handeln dargestellt haben. Früher gab es Bilderbibeln für die Armen, die sich keine Schulbildung leisten konnten – da war das Bild eine notwendige Ergänzung zum Wort. Zwar gibt es in der Bibel das sogenannte Bilderverbot. Das wird aber oft missverstanden, als sei die Bibel grundsätzlich gegen Bilder. Das ist nicht so. Es geht nur darum, dass man Gottes Handeln und Gott selbst nicht festlegt auf ein Bild.

 

Und trotzdem gilt ja die protestantische Kirche als besonders bildkritisch…

Bildkritisch zu sein heißt nicht, dass man gegen Bilder ist. Gerade in der protestantischen und besonders in der reformierten Tradition ist das Verhältnis zur bildenden Kunst sehr intensiv. Ein kritischer Blick auf Bilder bedeutet ja, dass man fragt, wozu Bilder dienen und wozu nicht. Bilder können gerne helfen, um zu Gott zu finden – aber sie sind nicht Gott selbst. Sie dürfen nicht an Gottes Stelle treten und angebetet werden. Das ist sicher das, was in dieser Bildkritik steckt.

 

Durch die Anschläge von Paris dominiert in der medialen Berichterstattung aktuell ein irregeleitetes, fanatisches und gewalttätiges Glaubensbild: Welche Vorstellung von Glauben kann die evangelische Kirche dagegen setzen?

Diese Frage begegnet mir jetzt oft und man kann da sehr ratlos sein, denn es gibt natürlich nicht das eine Mittel, das den Terror und die Gefahr stoppt. Vielleicht liegt bereits eine große Kraft darin, dass wir uns weigern zu glauben, diese erschreckenden Bilder seien die gültigen und einzigen Bilder unserer Welt. Der Hass und die Gewalt dürfen nicht in unser eigenes Empfinden überschwappen – in den letzten Tagen habe ich das Gefühl, als würde davon die ganze Welt beherrscht. Alle reden davon. Das ist einerseits wichtig und andererseits dürfen wir nicht vergessen, dass eine Gegenbotschaft existiert. Es gibt noch Versöhnung und Menschen, die aufbauen, heilen und es gut miteinander meinen. Wir müssen aufpassen, dass diese Stimmen nicht verstummen.

 

Auf veränderte Kommunikation einstellen

 

Vor der letzten Synode haben Sie gesagt, die Kirche müsse sich verändern, um die alte Botschaft neu zu leben - wie?

Es gibt viele äußere Veränderungen: Die Menge der Menschen, die zur Kirche gehören, nimmt ab, und damit auch die Finanzen. Wir müssen uns daran gewöhnen, mit weniger Gebäuden, Pfarrerinnen und Pfarrern und hauptamtlichen Mitarbeitenden auskommen. Früher ging man zur Kirche, die Bezugspersonen waren da, man konnte „konsumieren“. Kirche wird jetzt viel stärker eine Kirche der verantwortlichen, beteiligten Gemeinde sein. Das verändert manches, auch auf positive Weise, hoffe ich. Außerdem müssen wir uns auf veränderte Kommunikationswege einstellen: das Wort kommt heute in der Regel nur noch verkürzt vor im Alltag der Menschen, ob in SMS oder Mails. Was bedeutet das für uns? Und wie bringen wir diese wort- und schriftfixierte Religion, die das Christentum ist, lebendig unter die Menschen - zum Beispiel in Chats oder vielleicht auch in virtuellen Gottesdiensten?

 

Sie wären für all das offen?

Ja. Aber wichtig ist auch, kritisch zu hinterfragen, was unbedingt erhalten bleiben muss. Zu einem Gottesdienst gehören menschliche Nähe und die echte Gemeinschaft. Kann eine virtuelle Gemeinschaft das ersetzen? Andererseits glauben wir auch an die virtuelle Gemeinschaft der Lebenden und der Toten. Wir müssen Brücken bauen und uns öffnen für Ungewohntes. Ich beobachte einen merkwürdigen Gegensatz: Einerseits gibt es in unserer Gesellschaft spürbar die Suche nach dem Sinn des Lebens, danach, was das Ganze zusammenhält und an wen ich mich wenden kann. Gleichzeitig nimmt aber das Interesse an Kirche deutlich ab. Da müssen wir uns kritisch fragen: Was bedeutet das? Anscheinend ist es ja nicht so, dass die Fragen nicht da sind – aber unsere Art darauf zu reagieren, scheint nicht die zu sein, die die Leute brauchen. Wir müssen einerseits genau hinsehen und hinhören, was die Menschen erwarten – „Kundenorientierung“ sozusagen. Gleichzeitig müssen wir aber unseren Anspruch wahren und bei Gottes Wort und unserem Auftrag bleiben.

 

Die Frage ist vielleicht, ob das öffentliche Bild von Kirche und das, das die Kirche von sich selbst hat, nicht übereinstimmen?

So ist es. Es gibt das Image von Kirche, das vielleicht auch genährt wird von Vorurteilen, weil viele Menschen keine direkte Berührung mehr haben, aber überzeugt sind, dass das nichts für sie ist. Wir müssen uns selbstkritisch fragen, was wir tun, um dieses Bild zu fördern – und was wir tun können, um es aufzubrechen.

 

Die Kirche ist grundsätzlich offen für jeden

 

Vielleicht wäre eine Möglichkeit, deutlicher zu machen, was Kirche Menschen geben kann – was könnte das sein?

Wir sind stark in Ritualen. Der Gottesdienst bietet eine feste Struktur, in der Menschen sich gern bergen. Gerade die sogenannten Kirchenfernen sagen oft, dass es ihnen gut tue, nichts tun zu müssen, einfach zu sein, eingebunden in eine Form, in der Gottes Geist wirkt. Außerdem können wir Menschen das Gefühl der offenen Tür geben. Deswegen würde ich auch immer die Idee der Volkskirche verteidigen. Das bedeutet ja nicht, dass Massen strömen. Es heißt: Die Kirche ist grundsätzlich offen für jeden – man kann auch dazugehören, ohne ein Glaubensbekenntnis abzulegen. Das sehen viele kritisch. Aber ich finde wichtig, dass wir eben kein Verein sind, sondern eine Institution, von der Menschen sagen können: Im Moment habe ich kein Verhältnis dazu, aber ich möchte die Brücken nicht abbrechen, weil dort von einer Wahrheit die Rede ist, an die ich vielleicht gerade nicht glauben kann, die mir aber trotzdem wichtig ist. Dieses Gefühl dazuzugehören ist etwas ganz Wichtiges für die Menschen.

 

Mit diesem Phänomen des „Sich-nicht-Binden-wollens“ hat ja nicht nur die Kirche, sondern haben auch Gewerkschaften und Parteien zu kämpfen.

Ja, sicher kann man das kritisch verurteilen, dass manche Menschen „nur“ die Amtshandlungen in Anspruch nehmen – also zum Beispiel Taufen und Trauungen – oder nur zu Weihnachten in die Kirche kommen. Ich sehe das auch positiv. Da ist doch offenbar ein Bedürfnis vorhanden und der feierliche, sinnstiftende Rahmen kann nicht anders gestaltet werden, als mit der Kirche – und das ist doch immerhin etwas. Eine Form, die mich hält und die ich nicht erfinden muss: das ist doch etwas Kostbares. Für mich ist es eine der schönsten und größten Herausforderungen, Menschen bei diesen Gelegenheiten etwas von der Liebe Gottes weiterzugeben, das auch ihr Leben berührt.

 

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