Interviews & Artikel

"Die reale Welt bewegt mich"

Von Linda Opgen-Rhein

Neue Wege – die geht Friedrich Laker als Pfarrer der Pauluskirche mit Vehemenz: Zum Gebiet der Lydia-Kirchengemeinde gehört die Dortmunder Nordstadt. Doch Laker sieht nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen: Als Kulturstätte mit zahlreichen Konzerten, Kunst, neuen Gottesdienstformaten, interkultureller Arbeit und Diskussionen hat er die Pauluskirche auch für jene zu einem spannenden Ort gemacht, die seit langem keine Kirche mehr betreten haben. Im Interview spricht er über seine Leitbilder, seine Motivation und seine Schwierigkeiten.

Pfarrer Friedrich Laker


Welches Bild hast Du als Theologe von Kirche?

Die verfasste Kirche steht aus meiner Sicht immer noch auf dem Standpunkt, den Menschen mit ihren Dogmen einen gangbaren Weg zeigen zu können. Das scheitert ganz offensichtlich, denn die Menschen haben sich – zu Recht – von Autoritäten und autoritären Systemen befreit, und das ist für diese Gesellschaft auch weiterhin notwendig. Natürlich gibt es Grenzen, aber hinter diese Entwicklung kommen wir nicht mehr zurück.

 

Kannst Du Deine Tätigkeit in der Kulturkirche Paulus mit deinem Bild von Kirche vereinbaren?

Gerade an der Pauluskirche fanden meine Frau und ich bei unserem Start eine Gemeinde vor, die mit dem Angebot der „Offenen Kirche“ auch eine innere Öffnung signalisiert hat. Innerhalb der Kirche passierte bis dahin diesbezüglich nicht viel Neues. Ohne je die Absicht zu haben, Kulturarbeit zu machen, haben wir uns auf den Ort eingelassen, wo wir z.B. auf die Musiker Gerd Neumann, Günther Müller, Nam Sook Kim-Bücker trafen, die u.a. das Format „Klänge für die Seele“ entwickelten. Das meditativ-musikalische Programm bietet exotische Instrumente wie asiatische Flöten, Sitars und Gongs, freie und Gebetstexten aus allen Religionen und ein Beisammensein mit Tee und Gesprächen zum Abschluss. Es wird von allen Altersgruppen angenommen und – so formulieren es einige BesucherInnen selbst – ist für diese zum echten Gottesdienstersatz geworden. Mittlerweile arbeiten wir mit bis zu 20 Musikern und geben heute über 30 Konzerte im Jahr, die gut besucht werden. Diese Erfahrungen haben mich zu der Überzeugung gebracht, dass Theologen die Tatsache zulassen und darauf eingehen sollten, wenn Menschen formulieren, was Gottesdienst für sie ist. Wir brauchen die Beteiligung der Leute selbst, um uns als Kirche weiter entwickeln zu können.

 

Altes losgelassen und selbst neu eingelassen

 

Hast Du Dich durch diesen Öffnungsprozess auch selbst verändert? Bist Du jetzt ein anderer Theologe, vielleicht sogar mehr Theologe als direkt nach Deiner Ausbildung?

Ja, man kann sagen, dass ich Altes losgelassen und mich selbst neu eingelassen habe. Das habe ich z. B. bewusst wahrgenommen, als ich keine klassische theologische Literatur mehr gelesen habe, weil sie mich langweilte und keine neuen Impulse mehr bot. Ich habe zwar versucht, das Erlernte umzusetzen, aber es war nicht lebendig in mir. Die reale Welt mit den Menschen hat mich mehr bewegt und mich mehr gelehrt. Wichtig für mich war und ist der Theologe Claus Peter Jörns, der mir u.a. mit seinem Buch „Notwendige Abschiede“ zündende Impulse gegeben hat. Er ist Begründer der „Gesellschaft für eine Glaubensreform“. Ein wichtiger Aspekt dieser Gesellschaft ist die eigene Glaubensreflektion.

 

Welches Bild von Kirche möchtest Du mit deiner Arbeit in der Öffentlichkeit herstellen, und gelingt Dir das?

In meiner Funktion und mit der Freiheit, die mir das hiesige Presbyterium bietet, möchte ich an einer sich wandelnden, auf den Menschen eingehenden Kirche arbeiten und mitwirken. Die Leute wollen z.B. darüber diskutieren, ob es heutzutage überhaupt noch Sinn macht oder Gründe gibt, über Gott zu sprechen. Sie möchten über zeitgenössische Themen diskutieren, wie z.B. Richard David Precht oder Michael Schmidt-Salomon sie aufgreifen. Kirche ist an diesen Themen kaum beteiligt. Ich erlebe, dass sie auch nicht mehr mit Atheisten spricht. Wenn ich mit Menschen, auch mit Atheisten und Kirchenkritikern, neu ins Gespräch gehe, hole ich Leute ins Boot, die gar nicht aus der Kirche kommen.
Über 8000 Menschen besuchen unsere Veranstaltungen im Jahr. Zeitweise ist der Zulauf aus anderen Gemeinden groß. Und es kommt z.B. regelmäßig eine Gruppe, die sich „Religionsfrei im Revier“ nennt und dem „Internationalen Bund für konfessionslose Atheisten“ angehören. Das finde ich spannend, zumal besonders in unserer Gemeinde in der Nordstadt die Krise der traditionellen Kirche deutlich wahrzunehmen ist.

 

Krisengespräche

 

Ruft deine Vorstellung von Kirche nicht Widerstand innerhalb der verfassten Kirche hervor?

Zweimal meinte die Landeskirche, eingreifen zu müssen, und ich habe sie in ihrer Haltung als existenziell bedrohlich erlebt. Ein Krisengespräch hatte ich z.B., als ich mit dem Slogan „Wir segnen auch Hunde der Liste 1“ im Jahr 2000 mehr als 200 Besitzer von Kampfhunden im Westfalenpark mit dem „Gottesdienst für Mensch und Tier“ im Innersten angesprochen habe. Das Thema war damals wegen Kampfhund-Angriffen auf Kinder hoch emotional besetzt, auch bei den Besitzern von Kampfhunden. Ich habe das ernst genommen, und die Menschen waren zutiefst dankbar. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sich Kirche nicht um die relevanten, die Menschen berührenden Themen kümmert, sondern sich einschließt und nur für eine bestimmte Klientel da ist.

 

Fühlst Du Dich von Deiner Gemeinde unterstützt?

Von der Gemeinde kamen niemals ablehnende Signale. Hier erlebe ich das Presbyterium als Unterstützer und Teamplayer. Es gibt mir den Auftrag, Menschen der mittleren Lebensphase zwischen 40 und 60 Jahren kirchlich-religiöse bis kulturelle Angebote zu machen, ihnen Herberge auf ihrem Weg zu sein, auch temporär. Dafür bekommen wir auch von der Stadt Dortmund besondere Anerkennung. Aber Ideen, als reine Kulturkirche zu agieren, wie es in Dorstfeld geplant ist, könnte Paulus wirtschaftlich nicht leisten. Wir betrachten unsere Kulturarbeit aber auch als Teil der Gemeindearbeit. Uns kommt es nicht nur auf die Wirtschaftlichkeit an.

 

Profil der Öffnung weiterführen

 

Kannst Du Dir Deine Arbeit auch an anderer Stelle als in der Nordstadt vorstellen?

Wenn ich versetzt würde, dann nur unter der Bedingung, das Profil der Öffnung weiterzuführen. Aber im Laufe der Jahre habe ich ein unendliches Vertrauen ausgebildet. Ich kann alles loslassen, was Kirche heute darstellt als verfasste Kirche. Ich sehe Kirche als ideelle Instanz. Ich glaube z.B., dass wir weiterhin die Rituale brauchen, aber nicht als „Sakramente“. Diese Dogmatik dahinter ist kaum noch glaubwürdig. Außerdem: Wenn wir Abschiede vollziehen und bewusst durchleben, kann Neues kommen, auch neue Rituale.

 

Was planst Du im Themenjahr ?

Mir ist anlässlich des Jubiläums grundsätzlich wichtig, Denk- und Diskussionsanstöße für neue reformatorische Bewegungen in der Theologie zu geben. Für mich sind die Jubiläumsfeiern nur dann auch glaubwürdig, wenn es ihnen gelingt, Kirche in stetigem Wandel zu präsentieren und deutlich zu machen, wie sich das heute auswirkt – auch in der Theologie, im Glaubensverständnis, in der Kirchenorganisation, usw..  Neu-Interpretation z.B. alter lutherischer Aussagen allein führt nicht wirklich weiter. Das reicht nicht.

Mit „Philosophischen Podiumsveranstaltungen“, die wir in Kooperation mit der Fachhochschule Dortmund ab 2015 intensivieren werden, will ich immer mal wieder kontroverse Diskussionen führen, dogmatische Themen ins Kreuzfeuer nehmen und in den Zusammenhang des Reformationsjubiläums stellen. Für 2017 planen wir ein größeres „Mittelalterfest“ mit Luther-Schauspiel rund um und in der Kirche (u.a. mit „Mittelalter“-Bands, Mittelalter-Ständen, usw.).

 

Und zum Schluss die Frage nach Deinem konkreten Lieblings-Bild in oder aus dem Kirchenraum?

Da bin ich eher wieder bei den Menschen als beim Bauwerk. Ich sehe eine Gruppe Menschen, die in der Kirche beieinander sitzen, gemeinschaftlich essen und trinken und in aller Offenheit über die sie bewegenden Themen reden – eine Art modernes  „Abendmahlsbild“.

 

 

 

Zurück zur Übersicht