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"Nachholbedarf im Nahbereich"

Mit Imagefilmen will der Fachbereich Seelsorge und Beratung in Dortmund in Zukunft für sich im Internet werben – auch in den sozialen Medien. Passt das? Wo liegen die Chancen, welche Risiken gibt es? Nadine Albach sprach mit Katrin Pinetzki, Social Media Expertin des Dortmunder mct (media consulting team).

 

 

Im Grunde sind Image-Filme Werbung: Sollte eine Institution wie die Kirche Werbung machen, oder macht Sie sich dadurch unglaubwürdig?

Ich zögere, von Werbung zu sprechen. Unter Werbung verstehen viele die  Verkaufsförderung gewinnorientierter Unternehmen. Damit haben die Filme natürlich nichts zu tun. Trotzdem wirbt die Kirche schon immer für sich und ihre Inhalte, mit jedem Flyer, jeder Webseite, jedem Gemeindebrief. Film ist nur ein anderes Medium für Inhalte, die die Kirche schon lange transportiert. Öffentlichkeitsarbeit ist sogar ein Auftrag der Kirche; im publizistischen Gesamtkonzept von 1997 heißt es: „Kirchliche Öffentlichkeitsarbeit zielt darauf ab, die Kirche kommunikationsfähiger zu machen und das Vertrauen in die Kirche zu stärken.“ Genau darum geht es in diesen Filmen, denke ich.

 

Als Außenstehende, wie haben Ihnen die Filme gefallen?

Sie haben mir gut gefallen. Sie haben mich überrascht. Zum einen inhaltlich: Ich wusste nicht, wie breit die evangelische Kirche Dortmund in der Seelsorge aufgestellt ist. Und zum anderen formal: Sie überraschen z.B. dadurch, wie sie explizit visualisieren. Ein Beispiel ist der Film über die Notfallseelsorge: Ein Unfall, ein Herzinfarkt – das sind Situationen, die in der Regel unsichtbar bleiben. Der Film konfrontiert direkt damit und macht die Botschaft damit noch direkter, eindringlicher – auch durch die Ruhe, die er ausstrahlt und die für diese Art Bilder ganz ungewohnt ist. Andere Filme sind heiter, etwa der Clip über Gehörlosen-Seelsorge, der ganz wunderbar ohne Worte funktioniert.

 

Was könnte man mit diesen Filmen in den sozialen Netzwerken tun?

Man kann und sollte die Filme auf allen Kanälen spielen. Zunächst gehören sie auf die eigenen Webseiten der Kirche. Dann sollten sie auf Youtube eingestellt werden – das ist nicht nur ein Videoportal, sondern nach Google die größte Suchmaschine der Welt. Wer das Stichwort „Seelsorge“ oder „Kirche Dortmund“ sucht, sollte künftig diese Filme finden! Außerdem kann man sie natürlich über Facebook und Twitter bekannt machen. Sie eignen sich in gekürzter Version sogar als Clips für Kinowerbung.

 

Welches Potential haben gerade Filme?

Es ist kaum möglich, das Potential von Videos und Bewegtbildern zu überschätzen, in der virtuellen Welt ebenso wie in der realen: Bewegtbilder werden um uns herum noch dramatisch zunehmen, auf Screens im öffentlichen Raum, in Schaufenstern, an Hausfassaden – siehe DFB-Museum – und natürlich im Internet, in den sozialen Medien. Die werbetreibende Industrie setzt massiv auf Videos in sozialen Netzwerken, und soziale Netzwerke wie Facebook sorgen dafür, dass Videos prominenter platziert werden als Botschaften nur mit Text oder Foto. Die Nutzer wiederum belohnen Videos, indem sie sie häufiger weiterverbreiten und häufiger kommentieren als Inhalte ohne Film. Was ohne Bewegtbild daherkommt, droht eher unterzugehen.

Im Grunde geht es um den Kampf um Aufmerksamkeit. Und Videos haben da bessere Karten, denn viele Menschen schauen sich lieber bewegte als unbewegte Bilder oder gar reine Texte an. Wer heute eine Anleitung für was auch immer sucht, macht sich nicht mehr die Mühe, ein Buch zu lesen oder gar einen Kurs zu besuchen. Dank Plattformen wie Youtube kann man mit Videos lernen, die Spülmaschine anzuschließen, Zopfmuster zu stricken oder mit Computerprogrammen zu arbeiten.

Nach einer Studie erhöht der Link zu einem Film in einem Mail-Newsletter die Klickwahrscheinlichkeit um 96 Prozent. Das heißt, fast doppelt so viele Menschen sind bereit, meine Botschaften zu empfangen, wenn sie in bewegten Bildern geliefert werden!

 

Nutzt die Kirche ihre Chance in den sozialen Netzwerken nicht genug?

Kirche ist in den sozialen Netzwerken durchaus vertreten: Der Papst twittert. Evangelisch.de ist sehr aktiv. Es gibt einen Youtube-Kanal der EKD, der aber vor allem aus Mitschnitten von Pressekonferenzen und Reden besteht. Die Diakonie hat einen professionellen Youtube-Kanal. Nachholbedarf gibt es meines Erachtens im Nahbereich. Die katholische Stadtkirche ist auf Facebook mit einer eigenen Seite vertreten. Wenn ich aber „Reinoldi“ bei Facebook suche, finde ich eher den „Glühweinstand Reinoldikirche“ als die Stadtkirche. Auf Youtube finde ich viele Filme über die Reinoldikirche, z.B. Impressionen vom Glockengeläut, aber keinen Film oder Kanal, den die Kirche selbst verantwortet. Auf lokaler Ebene müsste noch weitaus mehr passieren.

 

Was kann die Kirche in den sozialen Netzwerken gewinnen?

Ganz klar: Dialog. Kommunikation. Den direkten Kontakt zur Zielgruppe, wenn man es in der Marketingsprache ausdrücken will. Mit Social Media erreicht man die Menschen direkt, und zwar interaktiv. Also auf eine Weise, die es ihnen ermöglicht, zu antworten – und Botschaften sogar weiter zu verbreiten.

Die Kirche in Social Media wird zunächst einmal ihre „Fans“ erreichen, also Menschen, die der Kirche sowieso schon nahe stehen. Diese Menschen verbinden sich in den sozialen Netzwerken mit der Kirche, „bekennen“ sich also ein Stück weit öffentlich zu ihr. Social Media baut darauf auf, festigt die Bindung.

Ich glaube, das Potential ist auch ganz groß bei Menschen, die den Kontakt oder ihre Bindung zur Kirche haben abreißen lassen, die ihr aber eigentlich positiv gegenüber stehen. Die sich vielleicht an Weihnachten und zu bestimmten Lebensphasen blicken lassen, aber sonst abtauchen. Genau diese Menschen, stille Sympathisanten, lassen sich mit Social Media sehr gut erreichen.

Und natürlich ist es mit Social Media möglich, Menschen zu erreichen, mit denen sie bislang nicht in Kontakt war. Das geschieht dann z.B. über solche Videos, die von den Fans empfohlen und dadurch weiter verbreitet werden.

 

Welche Fallstricke gibt es?

Ich finde eigentlich nicht, dass es spezielle Fallstricke in den sozialen Medien gibt. Keine größeren als sonst in der Öffentlichkeitsarbeit, bei der man sich natürlich immer auch angreifbar macht. Natürlich sollte man sich mit den Gepflogenheiten im Internet und in Social Media auskennen. Aber die Angst vor Kritik oder vor einem Shitstorm sollte eine Institution nicht davon abhalten, die Öffentlichkeit und vor allem den Dialog zu suchen. Schon gar nicht eine Institution wie die Kirche.

Der größte Fehler, den man in den sozialen Medien machen kann und den leider viele machen, ist es, Social Media nur als einen weiteren Kanal zu sehen, die eigenen Inhalte zu verbreiten. Das Potential und auch das Erfolgsgeheimnis von Social Media liegt darin, zuzuhören und in Dialog zu treten – genau das vermitteln wir in unseren Seminaren.

 

Wie kann Kirche damit umgehen, wenn Sie plötzlich im Herzen eines Shitstorms stünde?

Ein Shitstorm ist ja im Grunde: Kritik. Der stellt sich die Kirche ständig und schon lange, damit hat sie Erfahrung.

Natürlich schaukelt sich Kritik in sozialen Netzwerken häufig besonders schnell besonders hoch. Ebenso schnell ist der Sturm der Entrüstung oft aber auch wieder abgeebbt. Viele Shitstorms erledigen sich von ganz allein, weil es ausreichend „Fans“, Unterstützer, gibt, die den Kritikern antworten. Nach unseren Erfahrungen muss man nicht jeden Shitstorm so ernst nehmen – ernst wird es häufig erst dann, wenn ein Thema die Netzwerke verlässt und die klassischen Medien auf das Thema anspringen.

Ich will mal ein Beispiel nennen, das allerdings die katholische Kirche in dieser Stadt betraf: Vor zwei Jahren starb ein 9 Jahre alter Junge, dessen letzter Wunsch offenbar ein BVB-Grabstein war. Die  Eltern ließen einen anfertigen, doch die katholische Kirche verweigerte den Stein zunächst.

Das Thema hat natürlich alle emotionalen Faktoren, die es braucht, um in den sozialen Medien ganz groß zu werden. Rund 50.000 Menschen aus ganz Deutschland bildeten auf Facebook eine Unterstützergruppe, klassische Medien wie Spiegel Online berichteten überregional. Am Ende willigte die Kirche in einen Kompromiss ein.

Die Ursache des Shitstorms lag außerhalb der sozialen Medien. Facebook war nur der Katalysator, der die Lösung beschleunigt hat. Ich wage zu behaupten, dass auch der Druck der lokalen Öffentlichkeit über die klassische Medienberichterstattung zum gleichen Ergebnis geführt hätte – nur vermutlich langsamer. Soziale Medien haben also eigentlich „nur“ ein neues Tempo in solche Konflikte gebracht. Darauf sollte sich eine Institution einstellen, die Social Media betreibt. Es muss klar sein, wer in der Krise reagieren darf, es muss Absprachen und Hierarchien geben. Das kann man vorausdenken und vorausplanen.

Grundsätzlich glaube ich, dass die Kirche bessere Voraussetzungen als jedes Wirtschaftsunternehmen hat, mit Kritik umzugehen. Ein bewährtes und falsches Muster bei Shitstorms ist ja oft: ignorieren, leugnen, dann nur scheibchenweise Zugeständnisse machen und viel zu langsam Transparenz herstellen. Ich halte die evangelische Kirche für grundsätzlich offen, transparent und diskursfähig. Da würde ich mir gar keine Sorgen machen.

 

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