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Gewalt im Namen von Religion - absurd!

Die Reformatoren standen entschieden für ihre Sache ein. Ließ solche Überzeugung Raum für Andersdenkende? Das Konfliktfeld Bekenntnis und Toleranz, das Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Weinrich analysiert, ist gerade angesichts von Gewalttaten im vermeintlichen Namen des Glaubens höchst aktuell.

 

Prof. Dr. Dr. h.c. Michael Weinrich (Foto: privat)

 

Wie definieren Sie Toleranz?

Toleranz ist eine Verhaltensmaßregel, die darauf ausgerichtet ist, ein sozialverträgliches Zusammenleben zu gewährleisten. Toleranz ist also kein abstrakter Wert, sondern praktisch ausgerichtet und zielt auf somit auf ein achtsames Verhalten.

 

Schon in dem Titel Ihres Vortrags ist die Frage formuliert, ob ein Bekenntnis, wie es die Reformatoren antrieb, und die aufklärerische Forderung nach Toleranz nicht vereinbar sind: Ihre Kurzantwort?

Ich unterscheide zwischen der Toleranz als Duldung – das ist eine negative Form der Toleranz – und der Toleranz, die das Leben erträglicher machen will und damit aktiv ist. Mit letzterem verbunden ist eine bestimmte Vorstellung, wie das Leben sein soll. Diese kann man in einem Bekenntnis zu den Menschenrechten ausdrücken oder in einer Religion. Denn Religionen sind in ihrer Substanz auch darauf ausgerichtet, das Leben erträglicher zu machen. Das Christentum, der Islam, das Judentum: sie alle haben in sich große Potentiale an Nächstenliebe und Toleranz – das muss ihnen gar nicht von außen aufgedrückt werden.

 

Wie tolerant war Luther gegenüber Andersgläubigen?

Das ist eine sehr diffizile Frage. Luther war ein sehr aufbrausender und ungeduldiger Mensch, der rhetorisch sehr aggressiv werden konnte. Auf der anderen Seite hat er viele Bekenntnisse seiner eigenen Bescheidenheit abgegeben, die gerade gegenüber Gott seine demütige Seite hervorheben. Ich denke, Toleranz im Christentum ist insbesondere mit Demut verbunden. Das heißt gleichwohl nicht, dass man alles ertragen und dulden muss - manchmal ist ein klares Bekenntnis unumgänglich. Die Toleranz ist also immer auch eng mit ihrem Gegenteil verbunden. Man spricht hier von der Paradoxie der Toleranz: Wer fordert, tolerant zu sein, ist schon mit dieser Forderung in gewisser Weise intolerant.

 

Sie sprachen die menschlichen Schwächen Luthers an: Ist Glaube nicht gerade etwas Emotionales und Toleranz in diesem Zusammenhang schwierig?

Religion hat weniger mit Gefühlen zu tun als vielmehr damit, dass der Mensch weiß, dass er nicht die höchste Instanz ist. Diese Abkehr von der Selbstverabsolutierung hin zu der Überzeugung, dass der Mensch eben nicht der Nabel von allem ist, teilen alle Religionen. Es gibt etwas Größeres als den „tollen“ Menschen – und damit verbunden ist auch die Einsicht, sich selbst nicht als höchstes Wesen zu betrachten, das die Wahrheit in der Hand hält und über andere richten darf. Das nämlich widerspricht allen Religionen.

 

Und somit auch das Handeln von Terroristen, die Waffen in die Hand nehmen, um Andersgläubige zu töten?

Das ist ein Schlag ins Gesicht jeder Religion! Religion ist Selbstrücknahme – nicht Selbstermächtigung.  Gewaltanwendung im Namen von Religion kann nur als absurd bezeichnet werden.

 

 

 

 

Das Interview wurde anlässlich eines Vortrags von Prof. Weinrich zum Thema "Luther und die Toleranzfrage" in der Ev. Paul-Gerhardt-Kirchengemeinde gehalten.

 

Zur Person: Michael Weinrich ist Professor am Lehrstuhl für Systematische Theologie: Ökumenik und Dogmatik (Ökumenisches Institut) der Evangelisch-Theologischen Fakultät der RUB.

 

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