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Wer braucht Jesus als Bodybuilder?

Von Nadine Albach

Wer die Bibel liest, wird mit Bildern überflutet: Bildern, mit denen die Sprache arbeitet und die in uns Gestalt annehmen. Das reinste Kopfkino also. Zugleich konfrontiert uns die Bibel mit einem scheinbaren Paradoxon: Wir Menschen sind das Ebenbild Gottes – und dürfen uns doch kein Bild von ihm machen. Wie sich der vermeintliche Widerspruch auflöst und wie geschickt die Bibel mit Worten und Bildern spielt, verrät Professor Peter Wick vom Lehrstuhl für Exegese und Theologie des Neuen Testaments, Geschichte des Urchristentums an der Ruhr-Universität Bochum im Interview.

 

Was ist für Sie ein Bild?

Ein Bild verstehe ich zunächst im Sinne eines Abbilds: etwas Reales wird in einem Bild dargestellt. Damit richte ich mich gegen die Auffassung, dass Bilder das Eigentliche, Älteste, Grundsätzliche sind – Bilder sind für mich etwas Zweites, nicht etwas Erstes.

 

Auf welche Bilder greift das Neue Testament zurück?

Das Neue Testament arbeitet einerseits mit vielen Sprachbildern – andererseits thematisiert es das Bild selbst. Bei den Sprachbildern ist insbesondere Kapitel 3 im 1. Korinther interessant. Dort tauchen Bilder von Garten- und Hausbau, von dem Tempel in Jerusalem und auch der menschlichen Entwicklung vom Säugling zum Erwachsenen auf. Das ist typisch für Paulus und theologisch sehr relevant.

 

Warum?

Wir in der protestantischen Tradition gehen eigentlich davon aus, dass es nicht mehrere Stufen des Christentums gibt – dass also zu dem Glauben keine relevante Entwicklung mehr hinzukommt. Diese Bilder zeigen aber, dass der Glaube nur das Fundament ist und letztlich die Liebe das höchste ist.

 

Welche weiteren Sprachbilder lohnt es sich anzuschauen?

Insbesondere die berühmten Gleichnisse. Zum Beispiel „Von der selbstwachsenden Saat“ in Markus 4. Dort heißt es: „Und er sprach: Mit dem Reich Gottes ist es so, wie wenn ein Mensch Samen aufs Land wirft und schläft und aufsteht, Nacht und Tag; und der Same geht auf und wächst – er weiß nicht wie. Denn von selbst bringt die Erde Frucht, zuerst den Halm, danach die Ähre, danach den vollen Weizen in der Ähre.“ Vor vielen Jahrzehnten gab es auf einen einzigen Vergleichspunkt ausgerichtete Auslegungen der Gleichnisse insbesondere von Adolf Jülicher, die wir inzwischen zu Recht überwunden haben. Er ging davon aus, dass Jesus Christus eine zentrale Botschaft hatte, diese aber für die einfache Landbevölkerung möglichst leicht verständlich ausdrücken wollte und deshalb auf Sprachbilder zurückgriff. In diesem Fall also diente das Bild der wachsenden Saat dazu zu verdeutlichen, dass das Reich Gottes Zeit zur Entfaltung braucht. Man spricht hier von der „tertium comparationis“: Etwas im  Bild ist gleich mit der Sache. Und auf diesen einen Punkt kommt es an. Damit unterstellt Jülicher aber, dass Jesus es auch hätte anders sagen können, wenn er nur gewollt hätte.

Jedes Gleichnis muss als Geschichte betrachtet werden

Warum gilt diese Sicht aus Ihrer Perspektive als zu Recht überwunden?

Seit einigen Jahrzehnten geht die Theorie in eine andere Richtung: Demnach sagen die Gleichnisse etwas über das Reich Gottes aus, das nicht anders gesagt werden könnte. Jedes Gleichnis muss als Geschichte betrachtet werden, die mit einer Fülle von Aussagen gespickt ist. Zum Beispiel bei dem Gleichnis aus dem Markus-Evangelium: Die Saat wächst von selbst! Gott gibt zwar von oben den Anstoß – aber das Wachstum kommt von ganz unten. Die Sprachbilder im Neuen Testament haben ein hohes Deutungspotential: Sie arbeiten mit Bildern, die zugleich festlegen und deutungsoffen sind – das ist das Spannende!

 

Sie sprachen aber auch davon, dass das Neue Testament das Bild selbst thematisiert…

Dazu muss man vorweg bedenken, dass das Neue Testament auf dem Alten Testament beruht – es ist eine Deutung dessen. Und da gibt es nun etwas Merkwürdiges: Im Schöpfungsbericht steht, dass Gott den Menschen nach seinem Bild schafft. Das Bild gehört also zur Schöpfung! Der Mensch ist ein Abbild Gottes – und gleichzeitig wird ihm verboten, sich ein Bild von Gott zu machen.

Ein gutes Bild legt etwas fest und ist zugleich deutungsoffen

Wie lässt sich dieser Widerspruch auflösen?

Um das zu beantworten, ist es wichtig, sich noch einmal deutlich zu machen, was ein gutes Bild ist: Ein gutes Bild legt etwas fest und ist zugleich deutungsoffen. Wenn der Mensch sich aber ein Bild von Gott macht, dann legt er ihn fest und nichts ist mehr deutungsoffen. Auch wenn man daran festhält, dass der Mensch das Abbild Gottes ist, folgt daraus ja, dass Gott nicht auf EIN Bild festgelegt werden kann. Jeder Mensch ist ein Abbild Gottes – und jeder Mensch sieht anders aus. Außerdem ist auch ein Mensch nicht auf ein Bild festzulegen: Er lebt und dazu gehört Veränderung. Jeder Atemzug verändert ihn. Gute Kunst zeichnet sich wahrscheinlich dadurch aus, dass sie zwar eine Spannung erzeugt, aber etwas zentrales doch offen bleibt. Wie bei der Marmorskulptur des Priesters Laokoon, die ihn und seine Söhne im Todeskampf mit zwei Schlangen zeigt: man sieht genau den Moment VOR dem Biss der Schlange. Oder Caravaggios „Abendmahl in Emmaus“: Es zeigt, wie den Jüngern gerade bewusst wird, dass Jesus vor ihnen sitzt – und der bibelgewandte Betrachter weiß genau, dass er in der nächsten Sekunde nicht mehr da sein wird.

 

Aber wäre nicht doch ein Bild Gottes möglich, dass genau mit dem Aspekt der Deutungsoffenheit spielt – wie zum Beispiel ein völlig abstraktes Gemälde?

Als evangelischer Christ stelle ich ihnen die Gegenfrage: Für was ist das notwendig? Oder ist nicht jedes Bild von Gott auch mit der Gefahr verbunden, dass auch wir Menschen etwas von unserer Würde verlieren? Wenn wir Bilder brauchen, spricht ja zum Beispiel nichts dagegen, eine Szene aus dem Leben von Jesus darzustellen. Aber auch dabei besteht die Gefahr, dass wir in unserer Vorstellung sehr schnell festgelegt werden. Ein amerikanischer Künstler hat Jesus als Bodybuilder gemalt und spielt mit den entsprechenden alten Klischees, die Jesus als Softie darstellen. Natürlich ist dies oder jenes möglich. Aber die Frage ist doch: Wozu ist das gut, wenn wir Jesus als lockigen, blauäugigen Typen oder als einen mit dicken Muskeln sehen? Verlieren wir da nicht jeweils etwas?

Die ganze Schöpfung ist ein Bild für den unsichtbaren Gott

 

Mal anders gefragt: Wenn der Mensch Abbild Gottes ist, wäre dann nicht jedes Foto ein Verstoß gegen das Bilderverbot?

Wenn man damit behauptet: „Das ist Gott!“ – dann wäre das Götzendienst. Aber ich kann mir umgekehrt eine Fotoausstellung vorstellen, bei der unter der Überschrift „Bilder von Gott“ Bilder vieler Menschen zu sehen sind. Das hätte eine starke, theologisch richtige Aussage – in der Vielheit! Die Formel ist: Der Mensch darf sich kein Bild von Gott machen – aber Gott selbst schon. Er hat den Menschen als sein Abbild geschaffen. Allerdings gibt es Theologen, die darauf pochen, dass der Mensch die Ebenbildlichkeit zu Gott durch den Sündenfall verloren hat und diese Distanz erst durch Jesus Christus wieder überwunden wurde. Indem die Menschen ihm gleich werden, werden sie auch zu Gott. Im Römerbrief Kapitel 1, Vers 18, sagt Paulus, dass alles Geschaffene und damit alles Sichtbare Bilder für den unsichtbaren Gott sind, an denen der Mensch sein Wesen und seine Macht erkennen kann. Wenn Jesus das wieder herstellt, wäre eine Spiritualität denkbar, die zu tiefer Erkenntnis führt.

 

Somit ist aber das Bild grundsätzlich doch etwas Positives?

Ja, es hat im Alten Testament eine sehr positive Bedeutung eben in dem Sinne, dass der Mensch Gottes Abbild ist - und auch im Neuen Testament, wo Jesus als Ebenbild Gottes dargestellt wird. Zugleich gibt es das Bilderverbot, weil ein Bild Gottes etwas so fundamental Wichtiges ist, dass es nicht von Menschenhänden gemacht werden darf. Es gibt Menschen, die versuchen, zwischen den Begriffen „Bild“ aus der Genesis und „Götzenbild“ aus dem Dekalog zu unterscheiden – aber im Hebräischen und Griechischen ist dasselbe gemeint: Diese Trennung ist nicht haltbar. Es bleibt dabei: Die ganze Schöpfung ist ein Bild für den unsichtbaren Gott – und gleichzeitig darf der Mensch nicht ein Bild herausnehmen, um Gott darzustellen. Wahrheit und Sünde sind ganz nah beieinander.

Innere Bilder dürfen sein

Und was wäre dann, wenn ein Künstler ein Bild anfertigt, das nur eine Facette Gottes zeigt?

Damit würde Gott auf diese eine Facette mehr festgelegt als auf andere. Ob er nun mit der Bibel als Löwe, als Hirte oder wie in Daniel 6 als alter Mann mit weißem Haar dargestellt wird – all das wäre doch gegen die Bibel, weil es jeweils ein einziges Bild Gottes durch die Darstellung verabsolutiert.

 

Aber ist es nicht so, dass wir in unserem Denken automatisch auf Bilder zurückgreifen und die Vorgabe, sich kein Bild Gottes zu machen, einfach gegen die menschliche Natur und damit zu viel verlangt ist?

Im Grunde fragen Sie, ob wir überhaupt denkend erkennen können, ohne uns ein Bild zu machen - oder ob es nicht gerade Erkennen ist, etwas in Bildern zu ordnen. Wichtig ist, dass ein großer Unterschied zwischen inneren und äußeren Bildern besteht. Und zu den inneren Bildern sagt die Bibel nichts. Sie dürfen sein. Nur die äußeren sind verboten, weil sie einen Aspekt Gottes herausgreifen und verfestigen.

 

Ich frage mal umgekehrt: Was wäre, wenn ein Künstler EIN Bild Gottes anfertigt – nicht DAS Bild?

Dann könnten Sie ja irgendetwas malen und sagen: Das ist Gott! Aber auch irgendein Bild Gottes ist Blasphemie und Sünde. Und ich weiß auch nicht, wofür der Mensch das brauchen sollte. Ich drücke es mal so aus: Wenn ich möchte, dass mein Kind die Fähigkeit entwickelt, innere Bilder zu entfalten, lese ich ihm ein Buch vor – wenn ich ihm diese Fähigkeit nehmen will, zeige ich ihm die Verfilmung des Buches.

 

Aber diese inneren Bilder, dieses Kopfkino, nutzt das Neue Testament sehr bewusst?

Ja! Jesus Christus und Paulus arbeiten ganz viel mit Kopfkino. Das ist sogar etwas ganz Wichtiges. Diese Bilder sind gut und notwendig.

Um in der Kirche zu beten, brauche ich die Bilder nicht

Geht somit die Haltung der Reformierten, die jegliche Bilder ablehnen, nicht an der Bibel vorbei?

Zumindest relativiert es diese Haltung sehr. Natürlich kann ich in eine Kirche gehen, mir genussvoll Bilder anschauen und sie interpretieren. Es mag sogar sein, dass ein Künstler eine biblische Geschichte darstellt und seine Deutung zu mir spricht. Aber: Um in der Kirche zu beten, brauche ich die Bilder nicht.

 

Ist der Bildersturm, dieser Hass gegen Bilder, also ein Missverständnis gewesen?

Der Bildersturm wurde ja nicht an einem akademischen Schreibtisch erdacht. Das haben Menschen getan, die von Bildern abhängig waren und sich davon befreien wollten. Das kann ich gut verstehen. Ich denke, ein solcher Befreiungsschlag ist überall da notwendig, wo Bilder uns unfrei machen und in unserer Weltdeutung einschränken – wie zum Beispiel nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion überall kommunistische Denkmäler gestürzt wurden. Ein Bild kann als Hilfsmittel dem tieferen Verständnis dienen – es kann uns aber auch auf eine Deutung der Dinge festlegen.

 

Inspiriert wurde das Gespräch durch die Tagung „Du sollst dir kein Bildnis machen…“ an der Evangelischen Akademie Villigst, bei der Peter Wick eine Arbeitsgruppe zu Sprachbildern im Neuen Testament leitete.

 

 

 

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