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Jesus Christ Superstar – eine moderne Parabel

Ein Gastbeitrag von Dramaturgin Wiebke Hetmanek

Seit einiger Zeit steht an der Oper Dortmund die Rock-Oper „Jesus Christ Superstar“ auf dem Spielplan – mit enormen Erfolg. Der liegt nicht nur an der „Superstar“-Besetzung Alexander Klaws, sondern in erster Linie an der Qualität des Werkes: „Jesus Christ Superstar“ ist eine intelligente, moderne Auseinandersetzung mit der Passionsgeschichte, in der Jesus, bereits vom Tod gezeichnet, als ein zunehmend passiver Charakter gezeigt wird. Hauptaugenmerk der Autoren liegt auf den Menschen in seiner Umgebung, die Jesus zur Projektionsfläche für ihre eigenen Sehnsüchte und Ängste machen.

Szenenfoto mit Alexander Klaws (Foto: Björn Hickmann / Stage Picture)

Tim Rice und Andrew Lloyd Webber trafen mit ihrem Werk, das 1971 am New Yorker Broadway uraufgeführt wurde, den Puls der Zeit. Jesus war wieder „in“, ein Thema für viele, vor allem junge Leute. Die „Jesus-People“, die nach dem Gesetz der Nächstenliebe in kommuneartigen Wohngemeinschaften zusammenlebten, waren ein Ableger der florierenden Hippie-Bewegung, die in den späten 60er Jahren in den USA entstanden war. Auf sie beziehen sich die Autoren, wenn sie den wenigen namentlich genannten Jüngern „Jesus-People“ an die Seite stellen. Doch dieser Verweis ist einer der wenigen auf die Entstehungszeit, denn Rice und Webber ist es gelungen, ein Werk zu schreiben, das nicht nur unabhängig von den 70er Jahren, sondern auch unabhängig vom biblischen Kontext gelesen werden kann.

Im Großen und Ganzen hält sich Tim Rice, der Librettist, an den bekannten Verlauf der Passion, setzt aber eigene Akzente und verbindet Bibelzitate mit selbstgeschriebenen Texten. „Wir wandten uns dem Christus-Stoff zu“, schreibt Lloyd Webber, „weil er Tim erlaubte, sich als Dichter zu versuchen und die Christusgeschichte in neuer Art zu interpretieren. (…) Es ist eine sehr menschliche Version von Jesus, die seine Größe nicht leugnet, doch die Göttlichkeit einfach nicht zur Diskussion stellt. Dieser Standpunkt zwingt dazu, menschliche Reaktionen von anderen einer großen Gestalt gegenüber zu behandeln.“ So wird die Passionsgeschichte bei Rice und Webber zur Parabel auf den Umgang verschiedener Interessengruppen mit einem außergewöhnlichen Menschen, dem es gelungen ist, Massen zu mobilisieren. „Die Geschichte ist so archaisch – ein ambitionierter Revolutionär zieht mit seiner Bewegung in die Hauptstadt, in das Zentrum der Macht ein – das lässt sich mit und ohne Kenntnis der Bibel verstehen.“, glaubt Regisseur Gil Mehmert.

Jeder macht sich ein eigenes Bild von dem Anführer

Diese „Revolutionäre“ sind jedoch weit davon entfernt, eine homogene Gruppe zu sein, und so macht sich jeder ein eigenes Bild von ihrem Anführer; jeder versucht, Jesus seiner Weltanschauung einzupassen. Simon Zelotes zum Beispiel stilisiert Jesus zum Anführer eines bewaffneten Aufstandes gegen die Römer. Die meisten aber folgen ihm „blind“, erheben ihn unreflektiert zum „Superstar“. Seinen näheren Vertrauten, den Jüngern, steigt bereits der eigene Ruhm zu Kopf. Beim Abendmahl sind sie weniger bei Jesus als bei sich selbst: „Then when we retire we can write some gospels so they’ll still talk about us when we’ve died.“

Herodes interessiert nur sein eigenes Vergnügen

Auf der Seite der Machthaber geschieht Ähnliches: Kaum einer erkennt oder interessiert sich dafür, welche Ziele Jesus vertritt, es wird lediglich wahrgenommen, was er für die eigene Situation bedeutet. Der Hohepriester Kaiphas sieht in ihm eine Gefahr für die Juden im besetzten Judäa: „I see blood and destruction, our elimination because of one man.“ Herodes interessiert nur sein eigenes Vergnügen: „Prove to me that you’re no fool, walk across my swimming pool.” Pontius Pilatus schließlich, der Statthalter in Jerusalem, weicht in seiner Unsicherheit so lange einer Entscheidung aus, bis die Masse ihm vor Augen führt, was ein Aufstand für seine eigene Karriere bedeuten würde. „Diese Geschichte ist höchst politisch und wiederholt sich ja in Variationen ständig.“, so Gil Mehmert. „Das Etablissement wird in Frage gestellt: auf politischer (hier in Form vom windigen Karrieristen Pilatus), gesellschaftlicher (Herodes und seine „Society“) und religiöser Ebene (Kaiphas und die Macht seiner Kirche). Alle drei Instanzen werden plötzlich mit einer Protestbewegung konfrontiert, alle drei haben auf die neuen Fragen keine andere Antwort als verschiedene Formen der Gewalt, alle suchen den Machterhalt und kämpfen um die Sicherung ihrer Privilegien.“

Brücke ins Heute

Und dann wäre da noch Judas, aus dessen Sicht die Rock-Oper erzählt wird. Er ist der einzige, der sich kein eigenes Jesus-Bild entwirft, sondern in ihm den langjährigen Freund sieht und erkennt, wie der Erfolg diesen verändert hat. Immer wieder appelliert er an ihn, die ursprünglichen Ziele nicht zu verraten. „I remember when this whole thing began, no talk of God then, we called you a man. But ev’ry word you say today, gets twisted round some other way.” Als seine Warnungen nicht fruchten, zieht er seine Konsequenzen, indem er zwar Jesus, nicht aber dessen Ideen verrät.

Im titelgebenden Song „Jesus Christ Superstar“, eine albtraumhafte Vision von Jesus kurz vor der Kreuzigung, fragt ihn Judas, warum er eigentlich eine so ungünstige Zeit für sein Erscheinen gewählt habe: „If you’d come today, you would reach a whole nation, Israel in 4 B.C. had no mass communication.“ Spätestens jetzt ist die Brücke ins Heute geschlagen: Religiöser Fanatismus, Starkult, die Suche nach verbindlichen Werten und Normen sind Themen, die aktueller denn je sind. Doch damals wie heute ist es nicht leicht, sich ein objektives Bild zu machen.

 

Wiebke Hetmanek ist seit 2011 Dramaturgin an der Oper Dortmund und wirkte bei Jesus Christ Superstar mit. Sie ist Autorin der Kinderopern Der kleine Barbier oder Eine haarige Angelegenheit, Kaimakan und Pappatatschi oder Piraten fluchen nicht sowie Ritter Eisenfraß. Mehr zu ihrer Person gibt es hier.

 

Am 19. September 2015 feiert "Jesus Christ Superstar" seine Wiederaufführung an der Oper Dortmund. Informationen zu weiteren Aufführungsterminen und dem Ticketkauf gibt es hier.

 

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