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"Filme sind Augen- und Herzensdiebe"

Sie können uns mitten ins Herz treffen: Filmbilder, die das Menschsein befragen, die existentielle Fragen aufwerfen, die das Leben mal gnadenlos, mal wunderschön und immer anders ausleuchten. Pfarrerin Susanne Karmeier bringt an St. Reinoldi Kino und Kirche zusammen – um den Blick auf beides zu weiten. Im Interview spricht sie über die Motive für die Reihe, über Kritikpunkte und das, was geschieht, wenn Mensch, Kirche und Film aufeinandertreffen.

Filmszenen in St. Reinoldi

 

Gottesdienst mit Filmszenen - warum machen Sie das überhaupt?

Kino und Kirche ist ein Teamprojekt von Christian Höfener-Wolf, Pfarrer in der Eliasgemeinde im Dortmunder Westen und Hans-Peter Marker, Pfarrer in Iserlohn und mir. Wir haben Freude am Film und am Kino – das teilen wir mit vielen Menschen. Und wir haben Freude am Gottesdienst – das geht manchen Menschen anders. Beides möchten wir zusammenbringen. Gottesdienste mit Filmszenen sind für uns eine zeitgenössische Art, Gottesdienste zu feiern. Wir hoffen, dass Menschen neugierig werden, kommen und dann die Erfahrung machen: Hier in der Kirche gibt es doch etwas für mich zu finden.

 

Wonach wählen Sie die Filme für die Kino-Gottesdienste aus?

In der Regel geht es bei uns um populäre Filme, die ein breites Publikum ansprechen. Es sind Filme, die uns begeistert oder angeregt haben. Wir möchten einmal lachen und einmal weinen. Die Filme dürfen nicht banal sein. Es muss um ein Thema gehen, das unser Leben betrifft, das gerade öffentlich diskutiert wird, virulent ist oder verdrängt wird. Wir schauen uns die Filme also auf existentielle, theologische und aktuelle Fragen hin an.

 

Filme gehen auf unsere Lebensfragen ein

 

Warum finden Sie gerade das Medium Film so interessant?

Filme sind Augen- und Herzensdiebe. Sie ziehen uns in ihren Bann. Filme gehen auf unsere Lebensfragen ein oder werfen neue auf. Sie sind Projektionsfläche für unsere Sehnsüchte. Sie prägen unsere Vorstellungen von der Welt und von uns selbst, bereiten Träume und Phantasien vom Leben spannend auf. Kino und Film ist in den letzten Jahren immer wieder als „mächtige Sinndeutungsmaschine“ beschrieben worden. Damit wollen wir uns auseinandersetzen und uns aus der Perspektive des christlichen Glaubens in den Diskurs einmischen.

 

Welche Chance bieten Filme in einem Gottesdienst?

Großes Kino – das sind große Gefühle. Das Medium Film hat etwas, das man mit Worten allein so nicht ausdrücken kann.  Im Gottesdienst eröffnen die Filmszenen ein Fenster in einen gemeinsamen Erfahrungsraum hinein. Wir tauchen miteinander in die erzählte Geschichte ein, fiebern mit, sind erschrocken, befremdet oder fasziniert. Filme haben eine audiovisuelle Doppelkraft! Wir hören und sehen – Filme sprechen auf sehr sinnliche Weise unser Herz und unseren Verstand an. Im Gottesdienst setzen wir uns dann  mit dem, was wir sehen und fühlen  auseinander. Wir fragen uns: Was haben biblische Sichtweisen uns zum Thema zu sagen? Was hat Gott damit zu tun? Und wie hängt das mit unserer Suche und Sehnsucht nach gelingendem, sinnvollem Leben zusammen?

 

Protestantismus ist nicht grundsätzlich bildfeindlich

 

Die protestantische Kirche hat allerdings eine bildkritische Tradition – ist es da nicht ein Widerspruch, sich die Macht der Bilder zunutze zu machen?

Naja – der Protestantismus ist ja nicht grundsätzlich bildfeindlich. Auch die Bibel steckt voller Bilder – auch von Gott. Das Bilderverbot mit dem Satz „Du sollst dir kein Bild machen von dem was im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden … ist“ macht auf die Gefahr aufmerksam, Gott und uns festzulegen, meine Sichtweise absolut zu setzen und  etwas anzubeten und Macht über uns zu geben, das nicht tragfähig ist. Das Bilderverbot erinnert uns daran:  Gott könnt ihr nicht begreifen. Er/sie ist immer größer als alles, was wir fassen können. Lasst euch von euren Bildern nicht in die Irre führen. Begrenzt Gott nicht. Und trotzdem brauchen wir Bilder, um uns dem Geheimnis unseres Lebens zu anzunähren.  Ich finde, dass es große Ähnlichkeiten zwischen biblischer und filmischer Erzählkunst gibt. Die Propheten malen uns Bilder vor Augen und die  großen Geschichten des Ersten Testaments verbinden diese Bildszenen zu großartig komponierten Spannungsbögen. Die Gleichnisse malen mit wenigen Pinselstrichen etwas von unserem Leben. Die Evangelien sind eine hochdramaturgische Komposition. Wer weiß, vielleicht würde Jesus heute auch als Filmemacher auftreten?

Außerdem nutzen wir in Kino-Gottesdiensten nicht nur die Macht der Bilder. Ich erlebe Gottesdienste mit Filmszenen  auch als eine Chance, die „Affektmaschine“ Kino zu unterbrechen, Abstand zu nehmen und den Prozess des Sehens zu entschleunigen. Sie eröffnen uns die Möglichkeit, das Gesehene zu reflektieren und selbst einzuordnen, manchmal auch Schein zu entziffern und vor billigen Antworten zu bewahren. Es gibt auch eine kritische Funktion von Gottesdienst und Theologie.

 

Gott und „das Wort“ finden schon ihren Weg

 

Gab es denn nie Kritik an der Verknüpfung von Kino und Gottesdiensten?

2010 auf dem Kirchentag in München haben wir uns mit Studierenden und Fachleuten über das Projekt ausgetauscht.  Bei der Diskussion kam die Frage auf, ob die Filmausschnitte nicht stärker wirken als die biblischen Worte und am Ende nur noch die Bilder des Films zurück bleiben. Diese Sorge teile ich überhaupt nicht. Eine Dreißig-Jährige hat in der Diskussion gesagt: „Mich hat überrascht, dass ein Gottesdienst so viel mit meinem Leben zu tun hat. Ich habe das erste Mal seit langer Zeit die Worte der Bibel aufnehmen und als Impulse für mein Leben hören zu können, ohne sofort dicht zu machen.“ Genau das ist doch unser Anliegen: Die Erfahrungen, die Menschen mit Gott in der Bibel machen, mit unserem Leben unseren Fragen, Hoffnungen und Zweifeln zu versprechen.  Ich bin mir sicher, Gott und „das Wort“ finden schon ihren Weg. Zum Beispiel haben wir bei dem Film „Mein letztes Rennen“ die Heilungsgeschichte des Gelähmten aus dem Johannesevangelium ausgewählt – und gefragt, was uns  in den unterschiedlichen Phasen unseres Lebens lebendig macht. Ich bin überzeugt, dass die Gottesdienstbesucher_innenhinterher nicht nur die Bilder von Dieter Hallervorden und seinem letzten Rennen im Kopf hatten, sondern auch gehört haben: Gottes Sehnsucht ist der lebendige Mensch. Er hilft uns auf und eröffnet uns neue Wege, wo wir uns lahm gelegt fühlen. Ich hoffe, die, die da waren,  haben dank der bewegten Bilder auch eine Ahnung davon bekommen, worum es  der Heilungsgeschichte geht. Im besten Fall kommt es in unseren Gottesdiensten zur Aktualisierung biblischer Worte, zu einer reflektierten Filmrezeption und zu einem erweiterten Blick auf unser Leben. 

 

Welche Rückmeldungen bekommen Sie von den Besuchern der Gottesdienste?

Viele Menschen lassen sich von dieser Form des Gottesdienst ansprechen und sind hinterher noch sehr berührt: Deswegen biete ich nach dem Gottesdienst immer die Gelegenheit, bei Brot und Wein oder Wasser noch in der Kirche zu bleiben. Wer mag, kann über das Gesehene und Gehörte reden. Wir möchten da sein, wenn jemand die Geschichten mit seinem eigenen Leben in Verbindung bringt, ins Nachdenken kommt und dann jemanden zum Zuhören und Sprechen braucht.

 

Kein "religiöses Häubchen"  überstülpen

 

Im Grunde instrumentalisieren Sie den Film aber doch für Ihren Zweck…

Nein – das finde ich nicht! Natürlich ist die Frage, wie wir ein Kunstwerk verstehen, inwiefern und in welchen Zusammenhängen es von uns gedeutet darf. Verstehen die Künstler_innen ihr Werk selbst als abgeschlossen und völlig autonom? Dann darf es gar nicht gedeutet werden. Oder geben sie es nach Fertigstellung dem Blick der Betrachtenden frei? Für Umberto Eco war ein Kunstwerk „offen“, wenn der Inhalt des Werkes verschieden lesbar ist. Die Intention des Autors und des Werkes muss nicht die Lesart desjenigen sein, der sich dann später mit dem Kunstwerk auseinandersetzt. In jeder Interpretation kann und darf es eine neue, eigene Bedeutung gewinnen. In unseren Gottesdiensten geht es uns darum, uns mit einem bestimmten Thema auseinanderzusetzen und das mit verschiedenen medialen Mitteln und aus unterschiedlichen Perspektiven zu veranschaulichen, seh- und hörbar zu machen. Uns ist es dabei ein großes Anliegen, die Filmszenen nicht zu vereinnahmen und ihnen ein „religiöses Häubchen“ überzustülpen. Wir wollen ihnen keine christliche Sichtweisen unterschieben. Die Filmausschnitte sind auch nicht nur Aufhänger, sondern gleichberechtigte Gesprächspartner. Wir nähern uns mit den Bildern im Kopf biblischen Sichtweisen. Wir blicken mit den biblischen Geschichten und Erfahrungen auf die bewegten Bilder. Das eröffnet neue Perspektiven auf beides und regt uns an, über wichtige Themen unseres Lebens nachzudenken. Unser Anliegen ist es, zwei Erzählgemeinschaften miteinander ins Gespräch zu bringen und auch die Differenz zwischen beiden wahrzunehmen.

 

Das Lob des Ausschnitts

 

Sie zeigen aber nicht den ganzen Film, sondern nur Ausschnitte – und treffen somit eine persönliche Auswahl.

 

Ja – das stimmt. Sonst könnten wir in Gottesdiensten nicht mit „Langfilmen“ arbeiten. Darüber kann man natürlich diskutieren. „Das Lob des Ausschnitts“ wird in der Religionspädagogik schon lange debattiert. Das ist eine Grundsatzentscheidung. Ich kann verstehen, wenn es jemand ablehnt, einen Film nur in Ausschnitten zu zeigen. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass es legitim ist und eine große Chance hat, frei durch den Film zu schweifen wie durch ein großes Gemälde und bei Ausschnitten zu verweilen. Durch das Herauslösen aus dem Erzählfluss und der visuellen Gewöhnung an den Film können Einzelheiten und Besonderheiten der Filmszenen sichtbar gemacht werden. Spielfilme sind oft so komplex und vielschichtig, dass es angemessen sein kann, einen Fokus auszuwählen und darüber gemeinsam nachzudenken. Bei dem Film im April „In einer besseren Welt“ ist unsere Frage, ob es in einer von Gewalt beherrschten Welt möglich ist, gewaltfrei zu leben bzw. wie wir auf erfahrene Gewalt reagieren oder reagieren wollen. Der Film gibt hier in verschiedenen Szenen unglaublich beeindruckende Impulse, die uns herausfordern, unsere eigenen Antworten darauf zu finden.  Der Film wirft natürlich noch ganz andere Themen auf. Wir konzentrieren uns in den Gottesdiensten meistens auf eines. Die Theologin und Filmexpertin Inge Kirsner hat einmal geschrieben:  „Gute Filme tragen in jeder einzelnen Filmminute ein Gütesiegel, das sie auch in Ausschnitten zur Wirkung kommen lässt“.  Die Bibellesen wir ja auch nicht an einem Stück, sondern in ausgewählten Ausschnitten. Außerdem wissen die Kino-Gottesdienst-Besucher_innen, dass sie im Gottesdienst nur Szenen aus einem längeren Film zu sehen bekommen. Manche werden dann neugierig auf den ganzen Film. Es gehört zu meinem Konzept an St. Reinoldi, den Film in ganzer Länge am darauffolgenden Tag in der Schauburg, Dortmunds ältestem Programmkino zu zeigen – also an dem Ort, für den der Film eigentlich gemacht wurde. Andere haben den Film schon gesehen und möchten sich noch mal genauer damit auseinandersetzen. Am besten kommen Sie doch mal und verschaffen sich selbst einen Eindruck.

 

 

Termin

Am 8. November, 18 Uhr, steht der Film „Honig im Kopf" im Mittelpunkt in St. Reinoldi. 

Weitere Informationen zu dem Projekt finden Sie hier.

 

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