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"Dazu muss der Turm jetzt etwas sagen!"

Er bezeichnet sich scherzhaft als Glöckner von Dortmund – und sorgt als solcher täglich für aufsehenerregenden Augenschmaus: Filmemacher Adolf Winkelmann lässt seine Bilder von der Krone des U-Turms in die Stadt leuchten. Durch seine Bilderuhr ist das ehemalige Brauereihochhaus zum strahlenden Symbol der Kreativität geworden. Im Interview verrät er mehr über die Gedanken hinter den Bildern.

 

Filmemacher Adolf Winkelmann (Foto Copyright Adolf Winkelmann)

 

Warum fühlen Sie sich berufen, Bilder in die Stadt hinauszusenden?

Dazu fühle ich mich nicht berufen – das Projekt war ja in dem Sinne nicht meine Idee. Nach der Revolution des Mediums Film durch die Digitalisierung kommt doch eigentlich automatisch die Frage auf, was mit den Bildern jenseits von Kino und Fernsehen passiert.

 

Nichtsdestotrotz war es doch ihre Idee, die Sie am U-Turm umgesetzt haben…

Ja, das stimmt. Das war aber ein Zufall. Herr Große-Brockhoff, der ja damals Kulturstaatssekretär hier im Land war, hat mich einfach gefragt: „Sagen Sie mal, fällt ihnen was zum Dortmunder U ein?“ Und ich dachte: „Was soll das – was hab‘ ich damit zu tun?“ Irgendwann habe ich aber doch meine Assoziationen zu diesem Turm gesammelt. Und als ich Große-Brockhoff dann sagte: „Ich hab’s: Ich werde da oben Tauben ansiedeln“, meinte er: „Das ist eine richtig gute Idee!“ „Ja“, sagte ich, „aber meine Tauben sind sieben Meter groß und aus Licht!“

 

Ein Turm für die Phantasie

 

Aber bevor man über Motive spricht, steht doch erst einmal die Frage im Raum, warum der U-Turm überhaupt Bilder in die Stadt senden soll?

Das U soll ja ein Zentrum für Kunst und Kreativität sein – und jeder, der jetzt am Bahnhof ankommt, kann sofort sehen, dass dieser Turm die Welt der Phantasie beherbergt. Er schafft Identität. Für mich als Regisseur ist ja die zentrale Frage, wie ich mit Bildern meine Ideen in den Kopf der Zuschauer pflanzen kann.

 

Aber drängen Sie Ihre Bilder in dem Fall nicht regelrecht auf? Die Menschen in der Stadt können ihnen ja gar nicht ausweichen.

Das Gegenteil ist der Fall. Betrachten Sie doch mal die Rezeptionssituation: Die ist ganz anders als im Kino – einem Raum, der extra dafür gemacht ist, sich auf die Bilder in angemessener Zeit zu konzentrieren. Beim U-Turm ist das anders. Die Leute sind nicht auf der Straße, um sich Bilder anzuschauen. Sie sind unterwegs, stehen an der Ampel, unterhalten sich. Aber sie müssen sich die Bilder nicht ansehen – und wenn sie es doch tun, dann ist es freiwillig. Also stellt sich doch die Frage, wie die Bilder beschaffen sein müssen, damit die Menschen sie sehen WOLLEN?

 

Schule des Sehens

 

Und Ihr Ergebnis?

Na, auf jeden Fall kann die Antwort keine Cola-Werbung sein – da denkt jeder nur: „Weg damit!“ Schließlich sind wir umzingelt von Bildern. Viel mehr, als wir verkraften können. Und ganz sicher ignorieren wir Bilder, die uns regelrecht anschreien. Es geht also darum, Bilder zu erfinden, die diese innere Bildsperre überwinden.

 

Welche könnten das sein?

Bilder, die Fragen provozieren. Wenn jemand zufällig auf das U schaut, erlebt er einen Schock: Da sind Bilder an einem Ort, wo sie nicht hingehören. Sie passen nicht in die Welt. Die Menschen haben keinen Abwehrmechanismus im Umgang mit diesen Bildern. Faszinierend ist aber doch, dass jeder etwas anderes aus diesen Bildern macht. Mein Lieblingsbeispiel ist das von Frau und Herrn Jörder: die haben sich im Auto darüber gestritten, ob die Fische, die sie gerade am U gesehen haben, rot oder golden waren. Es gibt also wirklich Menschen, die sich abends über das Gesehene unterhalten. Mir geht es um diesen Prozess der Wahrnehmung und Verarbeitung von Bildsignalen. Die Menschen müssen lernen zu sehen – sozusagen eine Schule des Sehens.

 

Sensibilität im Umgang mit Bildern

 

 Aber können Menschen das nicht längst – Sehen?

Ich lerne das mein Leben lang. Jeden Tag denke ich darüber nach, was ich eigentlich sehe. Nur deshalb kann ich Bilder kreieren, die herausragen aus denen, die man kaum bemerkt. Die Menschen fahren am U vorbei, bekommen Bilder gezeigt – völlig ohne Zweck, an einem Ort, wo sie nicht hingehören und viel größer als andere – und fragen sich: Was soll das? Man muss berücksichtigen, dass das Ruhrgebiet eine proletarische und industrielle Vergangenheit hat, keine bürgerlich-aufgeklärte wie die großen Kulturstädte. Wir sind es gewohnt, dass uns jemand sagt, was wir tun sollen. Aber plötzlich fragen wir uns: „Was sollen diese Bilder“ Und wenn ich auf diese Frage komme, beginne ich, eine Sensibilität im Umgang mit Bildern zu entwickeln.

 

Aber was, wenn jemand Ihre Bilder ablehnt?

Das stört mich nicht. Er würde sie zwar ablehnen, aber ja doch hingucken. Tatsächlich habe ich mich anfangs gefragt, was ich sage, wenn die Leute die Bilder überflüssig fänden. Aber das war gar nicht nötig. Die Bilder werden extrem positiv aufgenommen; die Menschen haben Spaß daran. Es gibt sogar Kneipiers, die Bänke rausstellen, damit die Leute die Bilder anschauen können. Damit hat keiner gerechnet.

 

Leuchtend wie ein Juwel

 

Ist das U denn eine Art moderner Kirchturm?

Es hat keinen Bezug zu anderen Kirchtürmen, auch wenn es in der Skyline der Stadt herausragt. Ich habe schon als Kind aus meinen Zimmer in der Rheinischen Straße darauf geguckt und mich gefragt: Was soll das? Das ist kein Museum, keine Kirche, sondern eigentlich nur eine Brauerei, für die eine zweckgebundene Architektur reichen würde. Und trotzdem ist da dieses Konstrukt auf dem Dach, wie eine dreifach gestufte Pyramide. Keiner konnte mir das erklären. Bis wir herausgefunden haben, dass der Architekt Emil Moog sich von der Lichtarchitektur in den USA inspirieren ließ: Früher waren in den Stützen Scheinwerfer, die das Dach beleuchtet haben – so dass die Brauerei wie ein Juwel gestrahlt hat. Emil Moog hat also regelrecht ein Logo für die Union Brauerei gebaut! Mit der Bilderuhr habe ich diese Lichtarchitektur wiederbelebt: Ich hatte zwar die Idee für die Fliegenden Bilder – aber das Gebäude hat sie mir nahegelegt.

 

Können die Bilder auch eine politische Dimension haben?

Eine kulturpolitische vielleicht. Wir haben uns daran gewöhnt, dass Kunst aufrüttelt, negativ beschreibt, zerstört – das Schöne hat sich der Kunstbetrieb eigentlich abgewöhnt. Ich mache mit den Fliegenden Bildern etwas Schönes. Das wird grundsätzlich in der Kunstkritik nicht goutiert.

 

Die Zeit vergeht

 

Aber der Turm hat durchaus schon politische Statements abgegeben, gegen Nazis zum Beispiel oder „Je suis Charlie“ nach den Anschlägen auf Charlie Hebdo. Wie entscheiden Sie, solche Botschaften auszusenden?

Die Entscheidung darüber trage ich tatsächlich allein. Das ist hart, aber ich habe gewusst, welche Verantwortung damit einhergeht, wenn man so große Bilder macht. Jeden Tag aufs Neue entscheide ich, was laufen soll. Und ich habe schon erlebt, dass ein Mann sich aufgeregt hat, weil Regenbilder zu sehen war, wo doch tatsächlich die Sonne schien. Der Turm wird ernst genommen. Er ist ein Ich, eine Person und kann als solche auch mitreden. Normalerweise sendet der Turm geheimnisvolle Bilder. Und einmal pro Stunde erinnert er uns mit den Tauben daran, dass die Zeit vergeht und wir mit unserem Leben etwas anfangen sollten. Aber der Turm als Person kann sich auch äußern, wenn etwas Wichtiges passiert. Als das Attentat auf die Redaktion von Charlie Hebdo verübt wurde, waren wir auf dem Rückweg von Italien nach Hause. Ich wusste sofort, dazu muss der Turm jetzt etwas sagen!

 

Fotos:(1) Foto Copyright Adolf Winkelmann, (2) Copyright A. Winkelmann/W.Weber 2010, (3) Foto Adolf Winkelmann

 

 

 

 

 

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