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"Glaube ist auch politisch"

Von Nadine Albach

Jahrelang hat sie Schülerinnen und Schülern am Berufskolleg den christlichen Glauben nahe gebracht – jetzt will sie das Profil der Kirche als stellvertretende Superintendentin schärfen: In der Reihe „Mein Bild von Kirche“ spricht Andrea Auras-Reiffen darüber, was der Glaube für ihr Leben bedeutet – und wie untrennbar Kirche und Politik für sie sind.

 

Was motiviert Sie, für die Kirche zu arbeiten?

Meine Überzeugung, dass der christliche Glaube mein Leben trägt verbunden mit dem Wunsch, diese Überzeugung weiterzugeben auch über die Institution Kirche.

 

Woher kommt diese Überzeugung?

Die war – soweit ich das überhaupt nachvollziehen kann -  immer in mir. Gerade in den letzten Jahren habe ich darüber häufig nachgedacht, weil es ja vielen Menschen, gerade auch den Jugendlichen, mit denen ich gearbeitet habe, nicht so geht.  Ein Leben ohne Glaube und das Gefühl, von Gott gehalten und getragen zu werden, kann ich mir nicht vorstellen.

 

Kommen Sie aus einem Pfarrhaushalt?

Nein, ganz im Gegenteil. Aber meine Herkunftsfamilie war traditionell fromm.

 

"Die kritische Auseinandersetzung gehört für mich dazu"

 

Das kann ja gerade dazu führen, dass man als Kind dagegen rebelliert…

Ja, aber der Kern des Glaubens blieb mir wichtig. Allerdings habe ich diese schlichte, einfache Frömmigkeit nicht übernommen. Für mich gehörte, zumindest ab dem Jugendalter, die kritische Auseinandersetzung mit Traditionen und das  gesellschaftlich-politisches Engagement zum Glauben hinzu. Das war bei meinen Eltern und Großeltern zum Beispiel nicht der Fall. Die Ausrichtung hat sich also ein wenig verändert, aber die Grundlage nicht.

 

Für Sie war also klar, dass Sie für die Kirche arbeiten wollen?

Für mich war das sehr früh klar. Mit 15, 16, nach der Konfirmation hat die Idee Gestalt gewonnen, dass ich Theologie studieren möchte. Das hatte einerseits  mit dem Pfarrer meiner Heimatgemeinde zu tun, den ich geachtet und bewundert habe. Er hat eine  aufgeschlossene  und moderne Form christlichen Glaubens  gelebt und verkündet. Hinzu kam, dass ich eine Religionslehrerin hatte, die evangelische Pfarrerin war. Ihr Unterricht war intellektuell ansprechend – sie unterrichtete als zweites Fach noch Philosophie. Zu erfahren, auch in der Person, dass Glauben und Denken keine Gegensätze sind, sondern sich in kritischer Auseinandersetzung fruchtbar durchdringen, hat mich angezogen. Ein weiteres, faszinierendes Element war für mich, dass sie eine Frau ist. Eine Frau als Pfarrerin  kannte ich aus der Gemeinde damals nicht. Das fand ich eine wirkliche Herausforderung. Wenn ich meinen Wunsch, Pfarrerin zu werden, ausgesprochen habe,  war die Reaktion bei vielen, auch in meiner Familie,  sehr verhalten  bis skeptisch: als Frau wird man nicht akzeptiert, findet man keine Arbeit in diesem Beruf. Das waren die 70ger Jahre!

 

"Soziale und politische Fragen waren Teil des Studiums"

 

Das war ja auch eine stark politisierte Zeit. War es schwierig, das Thema Glaube im studentischen Milieu zu vertreten?

Ich habe in Marburg studiert. Die Theologische Fakultät dort war  politisch sehr aktiv. Man wurde als Theologie-Studierende nicht als konservativ angesehen. Im Gegenteil. Die Auseinandersetzung mit sozialen und politischen Fragen war Teil des Studiums: Ich habe zum Beispiel ein, sich über zwei Semester und die Semesterferien erstreckendes, Industriepraktikum zum Thema „Religion und Arbeitswelt“ absolviert. Dabei standen gesellschaftspolitische Fragen im Zentrum.

 

Das klingt nach einem Glauben, der der stark im Alltagsleben verankert ist und auch politisch Stellung bezieht. Ist das für Sie auch heute noch wichtig?

Ja, das ist mir heute noch wichtig.  Glaube ist auch eine öffentliche Angelegenheit und damit politisch. Ein rein spiritueller Glauben, der sich nur auf sich selbst zurückzieht, war nie meine Sache und wird es  auch nicht werden. Ich akzeptiere und respektiere Menschen, die das so leben, aber für mich gehört beides zusammen.

 

Es gibt aber Menschen, die gerade kritisieren, dass sich die evangelische Kirche zu wenig zu gesellschaftlichen und politischen Fragen äußert. Finden Sie auch, dass eine stärkere Positionierung nötig wäre?

Wir äußern uns ja zu gesellschaftspolitischen Fragen. Sicher könnten wir das manchmal klarer und deutlicher tun, aber ich nehme es nicht so wahr, dass wir nichts sagen. Ich finde, dass es zur Kirche gehört, öffentlich Position zu beziehen.

 

"Es gehört zur Kirche, öffentlich Position zu beziehen"

 

Warum glauben Sie dann, dass es so vielen Menschen heute schwer fällt, eine Beziehung zur Kirche aufzubauen?

Ich glaube, dabei geht es weniger um die gesellschaftlichen Äußerungen der Kirche, als vielmehr darum, dass vielen Menschen heute der persönliche Bezug zum Glauben fehlt. Ich habe 15 Jahre an einem  Berufskolleg gearbeitet und musste gerade bei Jugendlichen feststellen, dass für sie Fragen nach Glauben und Sinn nicht mehr wichtig  sind. Für die Bindung an eine Religionsgemeinschaft ist aber die innere Bindung entscheidend. Es gibt  Schüler, die zwar toll finden, was die Kirche im gesellschaftlichen und diakonischen Bereich leistet, aber sagen: „Glauben kann  ich nicht.“

 

Wie kann man solchen Äußerungen begegnen? Das klingt ja nach einer verschlossenen Tür.

Es ist zumindest eine Tür, die wir nicht mehr so einfach öffnen können. Wer wirklich ganz im Diesseitigen lebt, ist für uns schwer erreichbar. Allerdings gibt es im Leben Momente, wo die Kirche wieder zum Ansprechpartner wird – zum Beispiel bei der Geburt eines Kindes oder bei Tod, Sterben und Leid. Aber es müssen schon solche existentielle Erlebnisse sein, um das Gespräch wieder aufzunehmen.

 

Können Sie sich erklären, warum viele Menschen nicht nach Sinn fragen und nur im Diesseits leben?

Das ist der Mainstream unserer Gesellschaft! Wir haben den Leistungsgedanken stark gepflegt. Damit verbindet sich die Idee, dass jeder selbst verantwortlich ist für das, was er hat, kann und ist. Das halte ich für einen zutiefst unreligiösen Gedanken. Wer so denkt und sozialisiert ist, hat nur noch die Chance, sich auf sich selbst zu verlassen.

 

"Bei den Schülern habe ich eine große Distanz gespürt"

 

Sie haben Ihre Erfahrung an den Berufskollegs angesprochen: Dort hadern ja Schülerinnen und Schüler durchaus damit, dass Religion auf dem Stundenplan steht, weil es für sie nichts mit ihrer Ausbildung zu tun hat. Ist diese Abwehrhaltung nicht frustrierend für Sie?

Der Religionsunterricht an den Berufskollegs wurde in den letzten Jahren eng mit anderen Fächern und den Anforderungen der Ausbildung verzahnt. Viel stärker wog, dass man bei den Schülerinnen und Schülern eine große Distanz insbesondere zum christlichen Glauben spüren konnte. Merkwürdigerweise gab es teils eine große Faszination für andere Glaubensrichtungen – für den Islam oder auch den Buddhismus. Der Buddhismus wird geschätzt als Religion ohne Gott, in der es allein auf den Menschen und sein Verhalten ankommt. Der Islam wird  teilweise  als Religion mit „klarer“ Handlungsanweisung gedeutet. Das Christentum mit den Grundgedanken von Schuld und Vergebung, Gnade und Rechtfertigung erscheint vielen, vielleicht nicht nur den jungen, Menschen komplizierter, diffuser und differenzierter.

 

Was hat das mit Ihnen gemacht? Hat Sie das auch mal an Ihrem Glauben zweifeln lassen?

Nein, es hat mich nicht an meinem Glauben zweifeln lassen, aber manchmal an meiner Arbeit. Natürlich habe ich mich gefragt, ob es einen Sinn hat, immer wieder das Gespräch zu suchen. Ob ich die richtigen Zugänge wähle. Aber es war auch faszinierend. Ich habe mit jungen Erwachsenen gearbeitet, die mir interessante Rückfragen gestellt und mich herausgefordert haben. Dadurch konnte ich lernen.

 

"Wichtig ist, an entscheidenden Lebenspunkten da zu sein"

 

Was haben Sie aus dieser Zeit für die heutige Arbeit als stellv. Superintendentin mitgenommen, von dem Sie sagen würden: Das müssen wir tun, um auch mehr junge Menschen zu erreichen?

Ich glaube nicht, dass es dafür ein Patentrezept  gibt. Natürlich lieben junge Menschen Events. Aber die können sie in einer Stadt wie Dortmund auch ohne die Kirche finden. Wir können in diesem Bereich  Angebote machen, sollten uns aber nicht in Konkurrenz zu anderen aufreiben. Wichtig ist vielmehr, an den entscheidenden Lebenspunkten da zu sein. Ich habe mir immer vorgestellt, dass der junge Mann aus dem Berufskolleg vielleicht in einigen Jahren als Taufvater bei einer Kollegin oder einem Kollegen steht – sicher weiterhin mit einer gewissen Distanz, aber mit einem sehr persönlichen Bedürfnis.  Wenn Menschen positive Erfahrungen mit Kirche, Religion und uns als Repräsentanten und Repräsentantinnen gemacht haben, ist das hoffentlich etwas Bleibendes, das den Weg zur Kirche ebnet in Situationen, in denen die Menschen uns brauchen.

 

Das wäre ein Modell, bei dem Menschen sich nur an die Kirche wenden, wenn Sie etwas wollen oder brauchen. Ist das für Sie akzeptabel?

Ich kann das gut akzeptieren und habe nicht den Anspruch, dass sich jeder, der zu uns gehört, stark engagieren muss. Wir müssen akzeptieren, dass es Menschen gibt, die in einer Distanz zur evangelischen Kirche und zum christlichen Glauben leben, aber doch lose Anknüpfungspunkte haben. Wir sollten da sein und ansprechbar sein, wenn Sie uns brauchen.

 

Was glauben Sie denn, was Menschen bei der Kirche finden können – außer Hilfe in Krisen?

Gesprächspartner zu Themen, über die sie mit anderen nicht sprechen können.

 

"Glaube gibt mir das Gefühl, angenommen zu sein"

 

Was gibt Ihnen der christliche Glaube im Alltag?

Das Gefühl, akzeptiert und angenommen zu sein - auch bei all den Erfahrungen von Versagen oder Scheitern. Diese Erfahrungen sind, auch für junge Menschen, Realität. Selbst diejenigen, die nur auf ihre eigene Kraft setzen, spüren, dass nicht alles so perfekt läuft, wie sie es hoffen und von sich fordern. In diesen Situationen das Gefühl zu haben: Das nimmt nichts von meinem Wert und von meinem Menschsein, finde ich eine ganz wichtige Botschaft.

 

Zum Abschluss: Haben Sie ein konkretes Bild vor Augen, wenn Sie an Kirche denken?

Da möchte ich biografisch antworten:  Ich bin religiös sozialisiert worden in einer Gemeinde mit einem modernen Kirchengebäude: 70er Jahre-Bau, Backstein, offen, wenig sakral, viele Räume für Jugend- und Sozialarbeit. Ich konnte mir Kirche lange Zeit gar nicht anders vorstellen als in großen, modernen Gebäuden. Das hat sich mittlerweile gewandelt. Wenn ich im Moment ein Bild von Kirche vor Augen habe, so ist es ein kleines, aber auch sehr altes Haus, das die Botschaft von der Liebe Gottes zu uns Menschen beharrlich, vielleicht auch ein bisschen trotzig , durch die Zeit trägt. Es bleibt - und die Menschen können es immer wieder aufsuchen. Dieses Bild  strahlt für mich Beständigkeit aus und ist für mich heute stimmiger als der große  Gemeindesaal.

 

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