Interviews & Artikel

Wer ein Bild erklärt, tötet es

Von Nadine Albach

Einst war die Kirche ein bedeutender Auftraggeber für Künstler – aber welche Rolle spielt Sie noch in der Gegenwart der Kreativen? Der Dortmunder Fotograf Jürgen Spiler hat sowohl religiöse Bilder abgelichtet als auch in Kirchen ausgestellt. Im Interview spricht er darüber, welchen Einfluss der Ort auf das Bild hat, ob Glaube eine Rolle im künstlerischen Prozess spielt und welche Macht das Visuelle hat.

Der Fotograf Jürgen Spiler. (Foto: Nadine Albach)



Passen die Themen Kirche und Bild für Sie überhaupt zusammen?

Unbedingt. Die Kirche hat unsere gesamte Kultur mitbestimmt – und Kultur besteht immer auch aus Bildern. Gerade Kirche und Bild gehören zusammen, im positiven wie im negativen Sinne. Die Kirche hat imaginäre Bilder erzeugt – und auch unterdrückt. Allein das Bild der Hölle ist eines der schrecklichsten und grausamsten Bilder, die es gibt.

Welche Rolle spielt die Kirche als Auftraggeber für Künstler in der Gegenwart?

Immer noch eine große. Nehmen Sie doch die Fenster von Gerhard Richter im Kölner Dom und die Diskussion darum. Es ist erstaunlich, wie sehr Kunst immer noch provozieren kann.

Inwiefern hatten Sie als Fotokünstler bisher mit der Kirche zu tun?

Durch Zufall: Unsere Nachbarin, Monika Dürger, ist Presbyterin und hat Antje Hassinger und mich wegen einer Ausstellung zum Thema „Wüste“ in St. Reinoldi angesprochen. Kurz vorher war ich in den USA, im Death Valley und in der Mojave Wüste. Dort sind einige sehr melancholische Bilder entstanden. Thematisch passte das also wunderbar. Außerdem war es eine schöne Gelegenheit, zusammen mit Antje Hassinger und einem inzwischen verstorbenen Freund, Sigurd Maschke, auszustellen.


Keine inneren Vorbehalte


Hat es etwas in Ihnen ausgelöst, dass die Anfrage zu der Ausstellung von der Kirche kam?

Nein, höchstens in dem Sinne, dass ich überlegt habe, wie die Ausstellung zu dem Raum passen würde. Die Reinoldikirche mit ihren rohen Wänden und dem schönen Licht ist schon ein bemerkenswerter Ort. Aber ich hatte keine inneren Vorbehalte. Im Gegenteil: Wir haben ja für die Ausstellung kein Geld erhalten – es ging eher um das eigene Bedürfnis und den eigenen Anspruch, etwas Gutes zu machen. Ich muss allerdings zugeben, dass es mich ein wenig Geduld gekostet hat, als der klerikale Aspekt bei der Eröffnung hinzukam.

Das ist nicht Ihre Welt?

Ich bin zwar katholisch erzogen worden, aber meine Eltern sind nicht in die Kirche gegangen. Ich bin nicht gläubig – aber den katholischen Kontext wird man nicht los.


"Ich halte nichts davon, bewusst zu provozieren"



Gab es bei Ihnen eine Art „Schere im Kopf“ in dem Sinne, dass Sie von vornherein ausgeschlossen haben, bestimmte Bilder im kirchlichen Kontext zu zeigen?

Nein. Bei mir gibt es einfach grundsätzlich einige Dinge, die ich für mich ausschließe: Ich könnte zum Beispiel nie als Kriegsreporter arbeiten oder dort fotografieren, wo Leid ist. Das hat aber mit meiner ethischen Position zu tun. Außerdem halte ich nichts davon, bewusst zu provozieren. Für mich ist wichtig, dass durch die Bilder und den Ort Gefühle ausgelöst werden. Und da ist eine Kirche sehr viel stärker determiniert als ein Museum. Wenn man aus seinem Alltagstrubel hinaus eine Kirche betritt, ist es erstaunlich, was für einer absoluten Stille man begegnet.

Haben Sie das Gefühl, dass Raum und Bild in einer Kirche kommunizieren?

Ich antworte mit einem Beispiel: In der Dortmunder Marienkirche habe ich den Christuskopf von Benno Elkan fotografiert. Irgendwann, ich war eigentlich gerade fertig, fing jemand an, Orgel zu spielen – und genau im gleichen Moment fielen Lichtstrahlen auf den Kopf. Das war überirdisch.


"Ich bin Atheist, glaube aber an das Gute im Menschen"


Inwiefern spielen die Themen Religion und Glaube eine Rolle für Ihre Arbeit?


Das ist eine schwierige Frage. Ich bin Atheist, aber trotzdem habe ich eine Form von Glauben in mir an das Gute im Menschen. Das schwingt in vielen meiner Bilder mit, hat aber nichts mit Kirche zu tun. Umgekehrt glaube ich, dass es Energieorte gibt und dazu zählen für mich auch Kirchen: In ihnen spürt man eine große Kraft. Das empfinde ich aber auch, wenn ich sehr alte Objekte fotografiere: Für die Ausstellung „200 Jahre Westfalen“, die Ende August im Museum für Kunst und Kulturgeschichte beginnt, fotografiere ich den Katalog und habe zum Beispiel eine Pumpernickelbackform aus dem vorletzten Jahrhundert in der Hand gehabt – das war großartig.

Früher gab es in der christlichen Malerei eindeutige Symbole – gibt es für Sie eine heutige Bildersprache der Kirche?

Ich antworte mit einem Beispiel: Ich habe in Meschede das Sühnekreuz fotografiert. Es wurde 1947 für russische Zwangsarbeiter errichtet, die von Nazis im Zweiten Weltkrieg ermordet worden waren. Das sorgte in der Bevölkerung für große Widerstände: Das Kreuz wurde geschändet, angezündet und schließlich vergraben. Erst Jahrzehnte später wurde es wieder hervorgeholt, in einer Kirche aufgestellt und korrekt beschriftet. In diesem Fall, bei einer Geschichte so voller Schrecken, hat das Symbol eine Bedeutung für mich. Wenn ich hingegen eine Holzfigur an einem Kreuz hängen sehe, ist das für mich irrelevant.


"Für so etwas zu sterben, ist für mich nicht nachvollziehbar"


Die Protestanten stritten zur Zeit der Reformation heftig darüber, welche Macht Bilder haben. Wie sehen Sie das?

Ich fotografiere seit Jahren Werke im Auftrag des Ikonenmuseums in Recklinghausen – darunter eine Ikone, für die angeblich sogar viele Menschen gestorben sind, weil Gott darauf dargestellt wird. Ich muss aber ehrlich sagen: Mich hat das Bild völlig kalt gelassen. Für so etwas zu sterben, ist für mich nicht nachvollziehbar. Aber die Diskussion über die Macht von Bildern ist noch immer höchst aktuell; das sieht man ja zum Beispiel daran, dass gerade wieder ganze Kulturstätten zerstört werden.

Was glauben Sie denn, was Bilder Worten voraus haben?

Bilder, die wichtig sind, erreichen mich automatisch  – die muss man nicht erklären und kann es auch gar nicht. Es entsteht eine emotionale Verbindung. Texte gehen bei mir nicht so tief.


"Bilder haben mehr als eine pädagogische Funktion"


Calvin wollte, dass religiöse Bilder abgehängt werden, weil ihre Wirkung auf die Menschen zu stark sei – Luther hingegen wollte Bilder pädagogisch nutzen und hat ihnen eher eine dienende Funktion zugesprochen. Was halten Sie davon?

Sicherlich sind wir heute einer regelrechten Bilderflut ausgesetzt: Wir werden überflutet von Eindrücken, die unsere eigene Wahrnehmung regelrecht zuspachteln. Natürlich wäre da eine Reduktion nötig. Aber: Bilder haben sicher mehr als eine pädagogische Funktion. Wenn man sich einmal auf sie einlässt, lernt man, dass Bilder Emotionen auslösen können. 1981, als Wolf Vostell  den Güterzug am Dortmunder Hauptbahnhof einrichtete, habe ich begleitend eine Kunstaktion gemacht, bei der ich Portraits von Freunden und Familienmitgliedern riesig vergrößert auf den Boden geklebt habe um zu sehen, wie die Menschen damit umgehen und wie wertvoll Bilder eigentlich sind. Es war hochinteressant: Einige sind vorsichtig darum herum gegangen, andere haben die Bilder nicht beachtet, wieder andere sind extra darauf herumgesprungen. Nach ein paar Tagen passierte etwas mit den Bildern: Durch die Zerstörungsspuren bekamen sie etwas Zeitloses, Ikonenhaftes – das war sehr beeindruckend.


Wenn Sie jetzt die Ikonen in Recklinghausen fotografieren, können Sie nachvollziehen, dass sie als heilig gelten?

Nein. Ich habe Hochachtung vor den Menschen, die gute Bilder anfertigen oder auch vor der konkreten Geschichte, die dahintersteckt – aber das Heilige kann ich nicht nachvollziehen.


Und gibt es umgekehrt Bilder, denen Sie etwas Heiliges zusprechen?

Bilder, die mich spontan berühren oder die in dem, was sie erzählen, etwas mit mir zu tun haben. Um das zuzulassen, muss man sich aber Zeit nehmen und auf das Bild einlassen.


"Sobald man ein Bild erklärt, entmystifiziert man es"


Kann man Bilder denn auch erklären?

Man kann sicherlich mehr Zugang schaffen. Aber sobald man ein Bild erklärt, entmystifiziert man es – und hat das Bild getötet. Gerade bei abstrakten Bildern, die sich jeder Erklärung entziehen, passiert ja trotzdem etwas.

Haben Sie den Eindruck, dass wir in unserer Gesellschaft zu unkritisch mit Bildern umgehen?

Ja – ich spreche immer von visuellem Analphabetentum. Wir lernen Lesen und Schreiben, aber das Vokabular zum Umgang mit Bildern fehlt uns. Im Gegenteil sind viele Menschen überfordert von der Flut der Bilder. Meiner Meinung nach hat das auch eine klare Funktion: Wer zugekleistert ist, lässt sich leichter lenken.

Wäre das ein Impuls für die Kirche, ihre Bildkritik zu erneuern?

Sicherlich – aber spielt das heute bei der Kirche wirklich noch eine Rolle? Bildkritik ist generell mehr denn je nötig, findet aber kaum statt.

 

Mehr über Jürgen Spiler erfahren und sehen Sie hier.

 

Zurück zur Übersicht