Interviews & Artikel

Ein Bild für die Götter

Von Ralf Porps

Bilder bestimmen heute mehr denn je unser Leben. Was soll uns da so etwas wie das Bilderverbot noch bedeuten? Eine Reflexion über die Flut von Bildern und das, was sie über unsere Gefühle und unseren Umgang miteinander aussagen – von Journalist Ralf Porps.

Allein schon in unseren Smartphones findet sich ein schier unendlicher Bilderschatz.

 

Vor allem die Urlaubszeit ist eine Zeit der Bilder. Reichlich davon bekommen wir heute in der Regel als Mail, über Facebook oder WhatsApp. Bilder von schönen Landschaften, von einem Sonnenuntergang am Meer. Bilder vom Strand oder aus den Bergen. Bilder von einem gemütlichen Abendessen, von ausgelassenen Partys oder einer Völlerei. Bilder von einem opulenten Frühstück. Bilder von Tieren und Pflanzen. Bilder aus Städten mit Sehenswürdigkeiten drauf und dem, was man lieber nicht sehen will. Bilder von Menschen und Märkten, von Konzerten und Ausstellungen. Bilder von Flugzeugen, Bussen, Schiffen und gemieteten Autos. Kirchenbilder, Unterwasserbilder, Blumenbilder. Bilder, Bilder, Bilder. Und auch nach dem Urlaub geht es munter weiter. Wohin das Auge blickt: Bilder. Mehr denn je bestimmen sie unser Leben. Emoticons oder Smileys, per SMS verschickt, bringen unsere momentane Gefühlslage auf den Punkt. Was bedarf es da vieler Worte? Wie die Stimmung so ist, verraten Gruppenfotos besser als eine Ansammlung von Buchstaben. Bilder sind Kult. Jemand hat errechnet, dass alle zwei Minuten heute so viele Bilder geschossen werden, wie die gesamte Menschheit in dem Zeitraum von 1826 bis 1900 aufgenommen hat. Was in 74 Jahren gelang, dauert heute 2 Minuten.

"Du sollst Dir kein Bild machen"


„Du sollst dir kein Bild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser ist.“ (Exodus 20, 4) So beginnen die zehn Gebote. Angesichts unserer gegenwärtigen Praxis scheint uns dieses Bilderverbot so gar nicht zu beeindrucken. Was soll denn das: Du sollst dir kein Bild machen?

Dieses Bilderverbot hat eine Geschichte. Mose führt sein Volk aus der Gefangenschaft ins gelobte Land. Unterwegs entfernt er sich für längere Zeit. Er spricht mit Gott. Auf dem Berg Sinai erhält er von Gott die Gebote. Und was machen seine Leute währenddessen da unten? „Als das Volk sah, dass Mose noch immer nicht vom Berg herabkam, versammelte es sich um Aaron, Moses Bruder, und sagte zu ihm: Komm, mach uns einen Gott, der vor uns hergehe. Denn dieser Mose, der Mann, der uns aus Ägypten geführt hat – wir wissen nicht, was mit ihm geschehen ist. Aaron antwortete: Nehmt euren Frauen, Söhnen und Töchtern die goldenen Ringe ab, die sie an den Ohren tragen, und bringt sie her! Da nahm das ganze Volk die goldenen Ohrringe ab und brachte sie zu Aaron. Er nahm sie von ihnen entgegen, zeichnete mit einem Griffel eine Skizze und goss danach ein Kalb. Da sagten sie: Das ist dein Gott, Israel, der dich aus Ägypten geführt hat. Als Aaron das sah, baute er vor dem Kalb einen Altar und rief aus: Morgen ist ein Fest zur Ehre des Herrn. Am folgenden Morgen standen sie zeitig auf, brachten Brandopfer dar und führten Tiere für das Heilsopfer herbei. Das Volk setzte sich zum Essen und Trinken und stand auf, um sich zu vergnügen.“ (Exodus 32,1-6)


Die Schöpfung lässt sich nicht in Bildern einfangen

 

„Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist“, notiert Max Frisch in seinem Tagebuch. Schöpfer und Schöpfung lassen sich nicht in Bilder einfangen. Ein Zeit-Kolumnist (Ulrich Greiner) hat beobachtet: „Wann immer uns etwas begegnet, das als sehenswert gilt, reißen wir die Arme hoch und blicken auf das Bild, das die Kamera uns zeigt. Dieses Hochrecken der Arme war einst ein Zeichen der Unterwerfung oder des Jubels … An Aussichtspunkten, vor Denkmälern und Kunstwerken hat man zuweilen den Eindruck, die Besucher könnten das Sehenswerte überhaupt erst sehen, wenn sie es im Display ihres Apparates gesehen haben. Schaut hin und merkt es euch!, möchte man ihnen zurufen. Und wenn ihr es euch nicht merken könnt, helfen auch die Fotos auf der Festplatte nichts. Der Fotowahn … verrät einen technisch hochgerüsteten Fetischismus, für den im Ernst nur das wirklich ist, was von einem Bild beglaubigt werden kann. Kein Abitur ist wahrhaft bestanden, kein Ja-Wort gegeben, kein Geburtstag gefeiert, wenn es nicht hundertfach Ablichtungen davon gibt.“


Bilder wirken sich auf unser Zusammenleben aus


„Du sollst dir kein Bild machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser ist.“ Wie Bilder im Kopf sich auf das Zusammenleben von Menschen auswirken, hat Bertolt Brecht einmal schön ausgedrückt: „Was tun Sie?“, wurde Herr K. gefragt, „wenn Sie einen Menschen lieben?“ – „Ich mache einen Entwurf von ihm“, sagte Herr K., „und sorge, dass er ihm ähnlich wird.“ – „Wer? Der Entwurf?“ – „Nein“, sagte Herr K., „der Mensch.“ Unbemerkt sind wir durch unsere Bilder im Kopf auch verantwortlich für das Gesicht, dass Kolleginnen und Kollegen uns zeigen. Kollege A ist immer unfreundlich. Kollegin B kommt immer zu spät. Kollege C ist häufig krank. Kollege D bekommt nichts geregelt. Mit Kollegin E kann man nicht vernünftig reden. Kollege F grüßt nicht. Kollegin G schaut mich nicht an, wenn ich mit ihr rede. Kollege H denkt nur an seinen Vorteil. Kollegin I ist eine notorische Lügnerin. Kollege J ist faul und will mehr Geld. Kollegin K arbeitet zuverlässig 10 Stunden am Tag. Mit Kollege L lässt sich nicht verhandeln. Kollegin M nimmt mich nicht ernst. Kollege N trinkt nur Kaffee und raucht. Kollege O ist dumm und inkompetent. Kollege P taugt zu nichts. Kollegin Q ist eine Despotin. Kollege R ist ein unverbesserlicher Chaot. Kollegin S grinst immer so komisch. Kollege T lästert unentwegt.

Mein Bild steht fest


Und sollten sich alle plötzlich ganz anders zeigen, stimmt mit ihnen etwas nicht. Denn mein Bild steht fest und ist unverrückbar.

„Du sollst dir kein Bildnis machen, heißt es, von Gott. Es dürfte auch in diesem Sinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das, was nicht erfassbar ist.“ Der Künstler Anselm Kiefer meint: „Das Bild lässt im Scheitern (und es scheitert immer) die Größe dessen aufleuchten, das es [das Bild] nicht erreichen kann.“ Und er kommt zu dem Schluss, gerade weil es unmöglich sei, ein Bild zu machen, es dennoch zu tun. Denn Bilder sind ja gut und wichtig. Ohne Bilder könnten wir nicht auskommen. Aber Bilder sind eben Bilder und nicht mehr. Der Wahn, alles in Bildern festhalten zu können, ist wie ein Schauspiel, ein Bild für die Götter, über das diese sich nur kaputtlachen können.

 

Zurück zur Übersicht