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Die Chance auf eigene Antworten

Die Bibel ist ein Fundus fantastischer Geschichten. Einen Tauchgang mitten hinein in diese bewegte Welt bietet die Veranstaltungsreihe „Kinder Bilder Bibel“ zum Jahresthema, die ab dem 25. Oktober mit Ausstellungen, Comicworkshop, Vorträgen und vielem mehr lockt. Heiner Montanus, Leiter des Fachbereichs Bildung und Begegnung sagt, warum man das nicht verpassen darf.

 

Grafik: Ev. Erwachsenenbildungswerk

 

Warum haben Sie das Thema „Kinder Bilder Bibel“ in den Mittelpunkt gerückt?

Wir wollten das Jahresthema mit unserem Fachgebiet „Bildung und Begegnung“ verbinden und unbedingt die Kinder mit ins Boot holen – mit möglichst kreativen Angeboten jenseits klassischer Formate. Wenn man Kinder heute nach biblischen Geschichten fragt, kennen sie meist nur wenige Standardgeschichten wie die von Noah oder Jona. Aber schon bei Weihnachten sind sich viele nicht mehr sicher, was genau passiert ist. Mit unserem Programm laden wir zu einer Entdeckungsreise ein, auf der man die Bilder der Bibel noch einmal neu sehen kann.

 

Warum kennen die Kinder so wenige Bibelgeschichten?

Es gibt einen ganz klaren Traditionsabbruch. Die Eltern erzählen den Kindern keine biblischen Geschichten mehr. Die Weitergabe der christlichen Tradition gehört einfach nicht mehr fest in die familiären Lebenszusammenhänge. Außerdem befinden wir uns in starker Konkurrenz zu anderen Erzählungen, die heute immer mehr zunehmen. Wir können einfach nicht selbstverständlich davon ausgehen, dass das Fortschreiben der christlichen Tradition Zukunft hat.

 

Wie kann die Bibel zukunftsfähig sein?

Indem wir sie spannend erzählen.

 

Fragen und Staunen entstehen lassen

 

Müssen wir uns dafür vielleicht auch von dem Format des „dicken Wälzers“ lösen?

Im Bereich der Kinder haben wir das ja schon lange getan – die "Sendung mit der Maus" zum Beispiel erzählt biblische Geschichten in kurzen Filmen. Und auch die Kinderbibeln setzen verstärkt auf Bilder – viele und schlichte. Es geht längst nicht mehr darum, den Luther-Text einfach weiterzugeben, sondern Fragen und Staunen entstehen und die Eltern mit ihren Kindern selbst vorkommen zu lassen.

 

Was meinen Sie damit?

In unserer Eröffnungsveranstaltung zum Beispiel werden wir die Geschichte Abrahams in den Mittelpunkt stellen. Verkürzt ausgedrückt, muss er alles zurücklassen und mit seiner Familie von seiner Heimat in eine ungewisse Zukunft ziehen. Das ist eine Geschichte, die wir heute so ähnlich jeden Tag in der Zeitung lesen können. Beim Eröffnungstag werden wir die Geschichte Abrahams mit den Familien nachstellen, so dass sie sie in einem eigenen Fotobuch nacherzählen können. Sie sollen sich mit der Frage beschäftige, wie Abraham sich wohl gefühlt haben mag, als er von Zuhause weggehen musste. Sicherlich werden einige Kinder den Transfer zu der Situation der Flüchtlinge herstellen, andere werden ihre Eltern vielleicht nach der Flucht ihrer Großeltern im Krieg fragen und wieder andere erinnern sich möglicherweise wie es war, als ihr Vater weggegangen ist und wie sie sich dabei gefühlt haben.

 

Raum lassen, um Geschichten anders zu sehen

 

Die biblischen Geschichten stehen also unmittelbar im Kontakt zu unseren eigenen Geschichten und dem aktuellen Zeitgeschehen. Fehlt dieser Transfer in der Kirche manchmal?

Wir machen im Gottesdienst bei den biblischen Geschichten zu oft zu: Wir beschreiben die Bilder zu konkret und lassen kaum Raum für die Möglichkeit, dass andere Menschen die Geschichten anders sehen. Es muss Platz dafür geben, sich selbst in der Geschichte zu entdecken und eigene Antworten zu finden.

 

Müsste also der Religionsunterricht umstrukturiert werden?

Der ist ja schon lange in Bewegung. Ich habe in meiner Konfirmandenarbeit zum Beispiel Bibliologe eingeführt: Das ist eine Methode, bei der ein biblischer Text gelesen und an bestimmten Stellen bewusst unterbrochen wird, um Frage zu stellen und die Personen der Geschichte zu Wort kommen zu lassen. Mit unseren Worten und Gedanken. Das fanden die Konfis zunächst nicht so gut, dann aber zunehmend besser. Zum Beispiel in der Geschichte von Abraham: Da steht nur, das Gott ihm befiehlt loszuziehen – und er zieht los. Aber ich habe die Konfirmanden dazu aufgefordert, zu überlegen, was dazwischen geschehen ist: Wie mag Abraham sich gefühlt haben? Und wie Sara, die ja schließlich niemand gefragt hat? Plötzlich rückt die Geschichte ganz nah an uns heran. Darum wird es auch an dem Eröffnungstag bei den Fotobüchern gehen: Sie erzählen vom Grundsatz her alle die gleiche Geschichte – aber wie die Familien sich auf den Bildern positionieren und ob im Hintergrund die Sonne scheint oder ein Gewitter aufzieht, erzählt eine ganze Menge.

 

Interesse an den Menschen zeigen

 

Aber ist das nicht ein riesiger Aufwand, jede biblische Geschichte so abzuklopfen?

Ja, aber den muss man betreiben – weil man sonst im wörtlichen Sinne schon fertig ist. Außerdem signalisiert man damit, dass man die Notwendigkeit, etwas anders zu machen, erkannt hat – und zeigt Interesse an den Menschen und der Art, wie sie denken. Wenn die Bibel leben soll, müssen wir uns in ihre Geschichten stürzen – und nicht vorgefertigte Antworten an uns vorbeiziehen lassen wie einen Kinofilm.

 

Ist diese Form der Ermächtigung der Grundgedanke ihres Programms?

Ja, in dem Sinne, dass wir den Menschen Lust und Mut machen wollen, den biblischen Geschichten zu begegnen.

 

Den Flyer zum Download finden Sie hier. Die Reihe „Kinder Bilder Bibel“ wird veranstaltet von dem Ev. Bildungwerk Dortmund, dem Ev. Erwachsenenbildungswerk Westfalen und Lippe e.V. sowie dem Amt für missionarische Dienste.

 

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