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Heilige ohne Heldentat

Was ist eigentlich ein Heiliger - und was hat das mit uns zu tun? In seiner Rede zur Eröffnung der Ausstellung "Saints" in St. Reinoldi schlägt Superintendent Ulf Schlüter den Bogen von dem Heiligen Reinoldus zu uns. Hier Auszüge seiner Reflexion:

 

 

 

Ulrike Laengner (künstlerisches Team), Fotograf Nils Laengner, Superintendent Ulf Schlüter und Michael Küstermann, Projektleiter „Kirche und Bild“, in der Ausstellung "Saints" in St. Reinoldi. Foto: Stephan Schütze

 

"Ein höchst merkwürdiger Heiliger ist das, dem diese Kirche gewidmet ist. Die Kirche des Heiligen Reinoldus, Sankt Reinoldi zu Dortmund. Mit Schwert und Schild in der Hand zeigt ihn sein hölzernes Abbild (…).

Von den Bürgern dieser Stadt wird der merkwürdige Heilige sogar seit 1000 Jahren schon als Schutzpatron verehrt. Kanonisiert allerdings hat man ihn nie. Und wer genau dieser Reinold eigentlich war – auch das liegt eher im Dunkeln. Ein Neffe Karls des Großen –sagt eine Theorie. Ein Neffe, der allerdings mit seinem hier friedlich gegenüber platzierten Onkel aufs Finsterste zerstritten war.

Eine ganz eigene Geschichte der Flucht

Nach Kämpfen geflohen vor dem großen Karl sei Reinold, so sagt es die Legende, auf dem Rücken des Wunderpferds Bayard, gemeinsam mit seinen Brüdern. Die Festung Montalbán habe Reinold gebaut, lange belagert von Karl. Nach sieben Jahren erst habe Reinoldus sich ergeben, verschont von seinem Onkel, nur sein Wunderpferd wurde ertränkt. Woraufhin Reinold tieftraurig geflohen sei – bis ins Heilige Land. Eine ganz eigene, seltsame Geschichte der Flucht.

Ob es derselbe Reinold war, der später dann als Mönch in einem Kölner Kloster von sich hören ließ – wer will das wirklich wissen. Steinträger beim Bau des Doms sei er gewesen. Und Lohndumping habe er betrieben - für weniger als Mindestlohn auf dem Dombauarbeitsmarkt sich jeden Tag verdingt. Was – wie viele wissen werden - den jähen Zorn anderer Arbeiter dort nach sich zog, im christlichen Köln, die ihn kurzerhand mit dem Hammer erschlugen und in einem Sack in ein Wasser beim Rhein warfen.

Ein wirklich komischer Heiliger

Und dann wird’s endgültig merkwürdig – (…) dieser skurrile Versuch eines Begräbnisses, den die Kölner Geistlichkeit mit Reinold unternahm. Der Karren mit dem Toten aber rollte seine eigenen Wege und kam erst in Dortmund zum Stehen. Alles sehr, sehr merkwürdig. So kam die Stadt zu ihrem Schutzpatron. (…) Ein wirklich komischer Heiliger, der hier seit sieben Jahrhunderten wie selbstverständlich zu sehen ist. St. Reinoldus.

Immerhin, verehrte Gäste, die für Heilige gemeinhin obligaten Qualitäten vereint die legendäre Figur des Reinoldus zweifellos auf sich: fromme Werke, Wundertaten, Martyrium, all das. Wie Reinoldus zum Sankt kam, lässt sich erklären.

12 NEUE Heilige, sind von heute an zu sehen hier in St. Reinoldi. „Saints“ – 12 mal. Ihre Namen:

·         Bo-Sik Lee
·         Vijayarani Kethees
·         Mark Andre Fischer
·         Amadon Diallo
·         Sona Kavtarashivili
·         Ehrem Sasmaz
·         Bernhard Halle
·         Hadijah Nassanga
·         Andreas Burghardt
·         Ramono Cacic-Reinecke
·         Samet Sasmaz
·         Jana Wernicke

Nie gehört, werden die meisten von Ihnen denken (…) . 12 Heilige, die man als solche nicht kannte.

12 Gesichter, 12 Portraits von Menschen, die in dieser Stadt leben – heute, im 21. Jahrhundert. Manche von Ihnen haben ihr Leben hier verbracht, andere, die meisten, sind als Flüchtlinge hierher gekommen. Frauen, Männer, Kinder, mit dem Leben noch vor sich oder nah an der Grenze, so verschieden wie Menschen nur sein können, einmalig eine jede, ein jeder.

Ein goldener Schein um den Kopf

Was ins Auge fällt: Sie alle (…) erscheinen auf den Portraits von Niels Laengner im Stil der orthodoxen Ikonographie. Mit einem goldenen Schein um den Kopf – der sie erkennbar macht als das, was sie sind.

Nun ist, natürlich, von keinem dieser 12 irgendein Wunder überliefert.

So wenig wie vermutlich von Ihnen und von mir jemals Wunder überliefert werden sollten (…). Nein, Wundertäter sind sie nicht, diese Heiligen, und auch keine Märtyrer, keine Asketen, keine Moralperfektionisten. So wenig wie Sie und ich.

Licht- und Schattenseiten

Normale Menschen sind es – mit Licht und Schattenseiten, mit einer eigenen, zweifellos ebenso widersprüchlichen, gebrochenen Geschichte; wie wir alle sie haben. Wer sich auf die Bilder einlässt, wer sich Zeit nimmt und sich vertieft in diese Gesichter, (…) der kann das auch sehen.

Die Spuren von Glück und Gelingen, die Spuren von Angst und von Leid, Freude, Hoffnung, Fragen, Zweifel, Trauer, Mühe, Humor, Liebe – alles, was uns und unser Leben ausmacht, was es schön macht, einzigartig, was ihm Sinn verleiht. All das ist in diese Gesichter geschrieben – mitsamt den Ecken, Kanten, Macken und all dem.

Nur Schwert, Schild und Rüstung trägt hier niemand: Der Mensch ist verletzlich.

Menschen wie wir es sind.

Die hier nun von heute an erscheinen als Saints, als Heilige.

Wohlgemerkt: Nicht weil sie selbst das von sich behaupteten oder irgendwie danach strebten. Gott bewahre. Da waren einige unter diesen Zwölfen, (…) die mussten lange überlegen, ob sie sich denn unter diesem Titel „Saints“ überhaupt portraitieren (…) lassen wollte. Ich bin doch kein Heiliger. (…) So wenig wie vermutlich jemand von uns hier auf den Gedanken käme, sich selbst als Heiligen zu bezeichnen.

Wunderbar sind deine Werke

Und nochmal: Da ist kein Verdienst, weder Wunder noch Heldentat, kein Verdienst, das dies rechtfertigen könnte.

„Denn du hast meine Nieren bereitet und hast mich gebildet im Mutterleibe. Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin. Wunderbar sind deine Werke, das erkennt meine Seele.“

Heißt ein Vers aus Psalm 139. Einer der Verse, die von den Portraitierten gelesen wurden, während Niels Laengner mit ihnen arbeitete.

Ein zweiter war Psalm 131,2: „Fürwahr, meine Seele ist still und ruhig geworden wie ein kleines Kind bei seiner Mutter; wie ein kleines Kind, so ist meine Seele in mir.“

Ein Denkzeichen

In diesen Tagen, wo rund um die Uhr die Rede ist in den Medien von Menschenströmen und Massen, von einer Flut von Flüchtlingen, von ständig wachsenden, sich überbietenden Mengenangaben, 400.000, 800.000, 1 Million, vielleicht 2, in diesen Tagen setzen wir mit dieser Ausstellung hier in St. Reinoldi ein Denk-mal, ein Denkzeichen. Und lenken den Blick auf einzelne Gesichter.

Dass Gott (…) den Menschen zu seinem Bilde, als sein Ebenbild schafft, das gehört zu den ganz zentralen Lehren und Gewissheiten des jüdisch-christlichen Glaubens. Es ist die Würde Gottes selbst, die uns verliehen ist – jedem einzelnen Menschen. (…) Ein Glanz, den wir uns nicht selbst geben oder verdienen können. (…) Weil Gott dich will, dich liebt, dich geschaffen hat, Mensch.

Auch Sie und mich. Natürlich.

Obwohl wir so sind, wie wir sind

Und übrigens: Diese Würde, dieser Heiligenschein, der unsichtbar und unverdient über allen Menschen steht, der ist da oft genug – OBWOHL wir so sind, wie wir sind.

Mit diesen Bildern wird nichts und niemand idealisiert, hier gibt es keine Perfektion zu sehen. Allenfalls die des Fotografen, die wohl. Die Menschen aber sind so, wie sie sind – und werden eben so gezeigt. Normalität, nicht Überhöhung. Aber eben: so, dass man sieht: Diese Menschen haben es in und über sich – die Freundlichkeit, die Würde Gottes."

 

 

 

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