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Auf der Suche nach dem göttlichen Funken

Von Nadine Albach

Bilder sind längst nicht nur äußerlich, auf uns einströmend, um uns herum. Mit einer Kernfrage menschlicher Existenz – dem Bild von uns selbst – beschäftigt sich die Stadtkirche St. Petri im Rahmen des Themenjahrs „Kirche und Bild“: Die Veranstaltungsreihe „Wer bin ich?“ soll dem Geheimnis des eigenen Menschseins nachspüren. Im Interview berichtet Pfarrerin Barbara von Bremen über mystische Traditionen als verbindendes Element in den Religionen – und als Hilfe bei der Suche nach sich selbst.

 

Zum Jahresthema bieten Sie eine Reihe mit dem Titel „Wer bin ich?“ an: In welchem Zusammenhang steht das mit Kirche und Bild?

Wir wollten uns weniger stark auf das Visuelle konzentrieren, sondern einen Fokus setzen auf Menschenbild und Identität. Wir sind heutzutage so vielen Bildern ausgesetzt -  aber was heißt das für mich und das, was ich bin, und aus welchen Quellen ich mich speise?

Wie wollen Sie das Thema angehen?

In unserer Veranstaltungsreihe kombinieren wir inhaltliche Vertiefung und Erfahrungsmöglichkeiten in verschiedenen Veranstaltungsformen wie Gottesdiensten, Vorträgen und Workshops. Gerade bei Identitätsfragen ist es wichtig, aus Erfahrungen zu speisen. Dabei berufen wir uns nicht nur auf die breite christliche Tradition, sondern arbeiten interreligiös. Wir beschäftigen uns zum Beispiel mit der Mystik, die verschiedene Religionen verbindet: wir konzentrieren uns auf die Traditionen der sogenannten abrahamischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam.{slider}

 

Göttlicher Funke in uns

 

Der Begriff Mystik klingt ein wenig nach Räucherstäbchen und Kreisgesängen: Was verstehen Sie darunter?

In der Mystik ist das Gottesbild transzendent und immanent: Es gibt nicht nur einen außerhalb existierenden Gott, sondern ich trage einen göttlichen Funken in mir; dem christlich-jüdischen Verständnis nach sind wir sogar ein Ebenbild Gottes. Die Mystik geht also davon aus, dass ich eine innere Erfahrung machen kann, die mich in Verbindung mit Gott bringt – sei es durch Meditation, Kontemplation oder Gebet. Diese mystische Tradition gibt es in allen abrahamischen Religionen. Sie ist für uns besonders interessant, weil in die Petri-Kirche viele Menschen kommen, die keinen Zugang zur Kirche mehr haben – die aber auf der Suche sind.

Was haben Sie konkret vor?

Wir haben etliche Koryphäen eingeladen und arbeiten im interreligiösen Bereich mit der jüdischen Kultusgemeinde und der Al-Fath-Moschee zusammen. Die Judaistin und Kunsthistorikerin Dr. Esther Graf zum Beispiel bietet einen Vortrag und Übungen zum Chassidismus im Judentum. Beim Islam ist die mystische Tradition der Sufismus: Dazu wird es einen Vortrag, einen Studientag und ein Ritual mit tanzenden Derwischen geben. In der christlichen Tradition beschäftigen wir uns zum Beispiel mit dem Herzensgebet und der Spiritualität von Ikonen.

 

Ein Schatz in der christlichen Tradition

 

Ist die mystische Tradition des Christentums in unserer Gesellschaft weniger präsent?

Sie war jahrelang verschüttet, ist nun aber stark im Kommen: Zum Beispiel die Frauenmystik mit Hildegard von Bingen und Mechthild von Magdeburg, die gregorianischen Gesänge, die Meditations- und Stille-Übungen oder auch die Tendenz, eine Auszeit im Kloster zu nehmen. Vieles wird wieder ausgegraben und belebt. Wir haben den Eindruck, dass es ein großes Bedürfnis nach solchen Angeboten gibt – insbesondere von denen, die zum klassischen Kirchenleben und zum Gottesdienst keinen Zugang mehr haben. Das ist ein Schatz unserer Tradition, mit dem wir viel stärker wuchern können.

Ein Abend widmet sich sogar der Astrologie, die manchen eher als Scharlatanerie gilt. Was interessiert Sie daran?

Generell boomt in unserer Gesellschaft die Esoterik: das ist ein Markt der unbegrenzten Möglichkeiten, auf dem einerseits viel Schindluder mit unseriösen Angeboten betrieben wird, es andererseits aber auch Dinge gibt, die authentisch sind und in die Tiefe gehen. Da gibt es eine Schnittmenge zu uns. Aber es ist wichtig, stark zu sortieren. Deshalb sind viele Menschen froh, dass wir uns als Kirche in diese Nähe begeben – weil man uns zutraut, dass wir mit seriösen Lehrern zusammenarbeiten und auf gewachsene Traditionen zurückgreifen. Mit der Referentin Christine Lindemann, kooperieren wir schon länger: Sie hat einen sensiblen Blick auf unterschiedliche Zugänge zu kosmischen Bezügen, auch kirchliche Zugänge. Die Weisen aus dem Morgenland, die Heiligen Drei Könige, die einem Stern zur Krippe folgten, waren ja auch Astrologen! Die Astrologie ist eine uralte Wissenschaft und ist erst in jüngster Zeit verkommen zu den austauschbaren, belanglosen Horoskopen. Auch da ist es spannend, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

 

Kirche hat viel zu sagen

 

Geht es also auch darum, mit möglichen Vorurteilen aufzuräumen – oder was wünschen Sie sich von der Reihe?

Wir wollen niemanden belehren. Aber wir meinen, dass es in den Religionen Angebote gibt, die den Menschen auf ihrer Suche nach Identität helfen können. Die Kirche ist heute vielleicht ein Anbieter unter vielen - aber wir wollen zeigen, dass sie eben nicht antiquiert ist, sondern viel zu sagen hat und es Wichtiges zu erfahren gibt.

 

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