Themen

"Die Hölle - das ist man selbst"

Von Nadine Albach

Ein Poetry-Slam in einer Kirche: sicherlich erst einmal ein ungewöhnliches Bild. Und gerade deshalb ein besonders spannendes: Ein Wettbewerb der Worte, ein Duell, bei dem Ideen klirren, eine Arena, die aus Gags und Geistesblitzen besteht – und all das vor dem beeindruckenden Altar von St. Reinoldi. Sebastian 23, einer der bekanntesten Poetry Slammer Deutschlands, moderiert den Kampf der Kreativen am Montag, 26. Januar, 20.15 Uhr zum Thema „Himmel und Hölle“. Im Interview spricht er darüber, ob Glaube bei den Slams eine Rolle spielt, welche Chance die Veranstaltungen für die Kirche sein können – und was seine persönliche Hölle wäre.

 

Sebastian 23 beim Poetry Slam in der Reinoldikirche. Foto: Stephan Schütze


Welchen Einfluss hat der Ort, die Reinoldi-Kirche, auf den Poetry-Slam?

Die Atmosphäre ist eine besondere, auf die man sich erst einmal einlassen muss. Und das auf zweierlei Arten: Der hohe Raum sorgt für ein ganz anderes Klangbild. Aber natürlich geht es auch darum, dass es ein spiritueller Ort ist, den man erstmal mit einer religiösen Veranstaltung in Verbindung bringt. Das weckt neue Assoziationen – und setzt auch den Poetry Slam in einen ganz anderen Kontext.

Welche Assoziationen löst das bei Ihnen aus?

Für mich ist die Kirche erst einmal ein Raum, der sehr große, schöne Fenster hat, der aber trotzdem erst einmal dunkel ist. Ich bin der Kirche gegenüber aufgeschlossen, auch wenn ich mich nicht als äußerst religiösen Menschen bezeichnen würde. Aber ich freue mich immer, wenn Menschen zusammenkommen zu einem Zweck, der nicht ist, dass sie sich gegenseitig verprügeln. Eine Kirche ist ein Raum, in dem man sich trifft, um gemeinsam zu singen und an etwas Gutes zu glauben – und das finde ich toll.

Welche Rolle spielt das Thema Kirche und Glaube im Poetry Slam – ist das eher eine Nische?

Nein. Es spielt exakt dieselbe Rolle wie in unserer Gesellschaft im Allgemeinen, denn Poetry Slam ist als weit verbreitetes Veranstaltungsformat mittlerweile in allen Gesellschaftsschichten angekommen. Es gibt Poetry Slammer, die ausgesprochen religiös sind, die christlich, muslimisch, buddhistisch oder auch atheistisch sind. Außerdem steht in einigen Formaten die Religiosität im Mittelpunkt – wie bei Preacher-Slams oder „i-Slams“, die von muslimischen Slammer organisiert werden und bei denen Sonderregeln gelten wie zum Beispiel die, das kein Alkohol ausgeschenkt wird.

Religiös motivierte Angst


Haben Sie ein konkretes Beispiel für einen Slammer, dem das Thema Glaube wichtig ist?

Ja, Misha Anouk, der in seinem Buch „Goodbye Jehova“ davon erzählt, wie er die Zeugen Jehovas verlassen hat. Seine Familie will keinen Kontakt mehr zu ihm, weil sie Angst haben, dass sie sonst am Tag des Jüngsten Gerichts nicht zu den Auserwählten gehören. Aus dieser religiös motivierten Angst brechen Eltern tatsächlich den Kontakt zu ihren eigenen Kindern ab! So etwas bespricht man aber nicht mal nebenbei – das nimmt bei sehr vielen Leuten sehr großen Einfluss auf ihren Alltag, ihr Handeln und ihr Sozialleben. Es geht also um sehr wichtige Themen, die angesprochen werden müssen.

 

Beeinflusst der Ort die Auswahl der Texte? Es gibt ja Slams, bei denen es sehr deftig zugeht – geht das in der Kirche?

Das liegt im Ermessen der jeweiligen Künstler. Wir lassen uns die Texte nicht vorher schicken, um zu sehen, ob sie blasphemisch sind. Wir halten das bewusst offen. Es geht ja auch darum, dass man kritische Gedanken äußern kann. Wir kommen nicht nur dahin, um in der Form des Poetry Slams den Herrn zu lobpreisen.

 

Eine Chance für die Kirche

 

Ist ein Format wie ein Poetry Slam für eine Kirche auch eine Chance?

Ja, natürlich. Es ist auf jeden Fall ein Format, das junge Leute interessiert und in dem aktuelle Themen auf zeitgenössische Art aufgegriffen und zugänglich gemacht werden. Sofern mir das als wenig religiösem Menschen überhaupt zusteht darüber zu urteilen, glaube ich, dass es ein Problem von Kirche in der Jetztzeit ist, dass der Gottesdienst als Veranstaltungsformat seit Jahrtausenden besteht. Das hat seinen Grund – ist aber auch der Grund, warum junge Menschen eher nicht mehr in die Kirche gehen.

Könnte der Poetry Slam der neue, junge Gottesdienst werden?

Nein, das glaube ich nicht. Darum soll es bei diesen Veranstaltungen auch nicht gehen. Wir machen einfach einen Poetry Slam in einem kirchlichen Kontext. Das wird sicherlich durch Anspielungen aufgegriffen, aber wir geben keine neue christliche Lyrik zum Besten. Nichtsdestotrotz ist es gut, dass sich die Kirche überhaupt dafür öffnet – das macht sie zugänglicher für junge Menschen.

Das Thema Glaube hat auch eine brisante Dimension: Dieter Nuhr zum Beispiel ist für seine islamkritischen Äußerungen angefeindet worden. Finden Sie es richtig, Religionskritik zu äußern oder gehört so etwas nicht in den Poetry Slam?

Doch, kritische Standpunkte gehören auf jeden Fall in den Poetry Slam – aber sie gehören auch unbedingt in die Kirche. Es ist toll, dass man sie nicht mehr nur an die Kirchentür nageln muss, sondern sie in der Kirche sagen kann. Das ist eine Weiterentwicklung. Wir reden ja über eine evangelische Kirche: Wenn da Kritik nicht erlaubt wäre, fände ich das einen schwierigen Standpunkt – schließlich ist der Protestantismus ja durch die Kritik an der Kirche entstanden.

Thema des Slams ist „Himmel und Hölle“: Was bedeutet das für Sie?

Ich bin studierter Philosoph und habe mich ausführlich mit der Frage beschäftigt, wie Religionen funktionieren und welche Rolle zum Beispiel das Konzept von Himmel und Hölle dabei spielt, die Menschen zu motivieren, sich gemäß der Lehre von Nächstenliebe zu verhalten. Wenn ich zu jemandem nett bin, weil ich denke, ich komme sonst in die Hölle, finde ich das eine schwierige Herangehensweise – denn dann bin ich ja am Ende doch egoistisch, weil ich will, dass es mir gut geht. Einen spannenden Gesichtspunkt hat Arthur Schopenhauer mal ins Rennen geschickt: Warum fällt es den Menschen so leicht, sich die Hölle auszumalen, mit konkreten Bildern und Schilderungen, von Dante bis zu H.R. Giger – während sie sich dem Himmel längst nicht so ausführlich widmen? Was sagt das eigentlich über uns aus? Ich finde es philosophisch sehr spannend, sich mit beiden Ideen, Himmel und Hölle, zu befassen.

 

Alleinsein - die Hölle!

 

Was ist denn ihre persönliche Vorstellung von Himmel und Hölle?

Ich sehe das anders als Jean-Paul Sartre, der behauptete, die Hölle seien immer die anderen: In seinem berühmten Theaterstück „Geschlossene Gesellschaft“ besteht die Hölle ja darin, dass drei Menschen für alle Ewigkeit in einem Raum sind. Ich glaube eher, dass die Hölle man selbst ist – wenn man in einen Zustand gerät, in dem man sich von der Außenwelt isoliert und nur noch mit seinen eigenen Gedanken konfrontiert ist. Dieses Alleinsein ist meine persönliche Vorstellung von Hölle. Ich glaube, die Menschen sind vielmehr dafür gemacht, miteinander zu leben. Wahrscheinlich ist das für viele der Himmel, den man erreichen kann: Wenn man Ideale wie Nächstenliebe umsetzt und gut miteinander umgeht, schafft man hier auf Erden den bestmöglichen Platz für ein glückliches Leben.

Ist das auch Ihre Idealvorstellung?

Ja. Ich versuche auch ohne Angst vor der Hölle und ohne ein zielstrebiges Zuarbeiten auf ein Wölkchen, eine Harfe und Engelsflügel nett zu allen Leuten zu sein, ein gutes Leben zu führen, mir bewusst zu machen, worum es vielleicht geht, und gut zu handeln. Ich bin nicht an einem Jenseits interessiert, sondern glaube, dass man sich im Jetzt darum kümmern muss, dass es einem selbst und anderen gut geht.

Aber praktischerweise hätten Sie damit ja sozusagen auch die „Zugangsvoraussetzungen“ für den Himmel erfüllt….

(lacht) Ja, das stimmt. Aber wenn es einen allmächtigen Schöpfer gibt, der irgendwo unser Treiben beobachtet - was würde es ihm bringen, wenn ich denke: „Ja, er ist da!“? Für ihn wäre doch sicher wichtiger, dass seine Kreaturen gut miteinander umgehen und nicht alles kaputt machen, was er geschaffen hat.

 

Zurück zur Übersicht