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"Die Chancen der neuen Medien nutzen"

Von Nadine Albach

In Lebenskrisen, bei einem schweren Unfall, nach dem Verlust einer geliebten Person oder auch bei dem Gefühl, allein zu sein: Seelsorge ist für die Menschen da. Sie gibt Halt und Trost - leise, wenn sie gebraucht wird, im Privaten. Wie wichtig sie ist, will Pfarrer Matthias Mißfeldt aber öffentlich machen: Der Leiter des Fachbereichs Seelsorge und Beratung hat Imagefilme in Auftrag gegeben, die in den sozialen Netzwerken verbreitet werden sollen. Warum die evangelische Kirche aus seiner Sicht unbedingt neue Wege wie diese gehen und auch ihr Bildverständnis prüfen sollte, erzählt Matthias Mißfeldt im Interview.

Pfarrer Matthias Mißfeldt

Imagefilme für die Seelsorge  – wie sind Sie auf die Idee gekommen?

Der Gedanke war, Menschen durch das Medium Film atmosphärisch und kompakt über die Inhalte unserer Arbeit zu informieren. Imagefilme sind der Kirche vielleicht noch fremd, aber das muss sich ändern. Speziell unsere Arbeit findet eher nicht-öffentlich und in der Stille statt. Durch die Filme wird nun sichtbar, was wir tun.

 

Die Filme wirken sehr modern und emotional. Wieso haben Sie sich für so einen Stil und nicht zum Beispiel für einen sehr sachlichen entschieden?

Die Leute wollen heute schnell informiert werden – der emotionale Gehalt und die Atmosphäre sorgen für eine direkte, unmittelbare Ansprache. Wer danach mehr wissen möchte, kann sich im Internet genauer über uns informieren. Aber die Filme sind wie eine Art Öffner – und darin liegt eine Riesenchance.

 

Wen wollen Sie mit den Filmen erreichen?

Alle, die wir sonst nicht erreichen. Wir haben keine scharfe Zielgruppenanalyse gemacht. Die Menschen, die sich für die Beratungsstelle interessieren, sind wahrscheinlich auch ganz andere als die bei der Notfallseelsorge. Die Filme sind einfach eine gute Möglichkeit, eine breite Öffentlichkeit zu erreichen, die vielleicht auch nicht kirchennah ist.

Wo wollen Sie die Filme zeigen?

Wir werden sie erstmal auf die Internetseite unseres Fachbereichs stellen und wahrscheinlich die Möglichkeiten der sozialen Netzwerke nutzen. So haben wir die Chance, die Filme schnell zu verbreiten.

 

Kirche muss Möglichkeiten des Internets nutzen

 

Die Reformation war auch eine Medienrevolution. Sehen Sie eine Analogie zu Ihren Filmen?

Eine gewisse Analogie sehe ich schon. Die Übersetzung der Bibel und der Buchdruck waren entscheidende Veränderungen in der damaligen Medienwelt, durch die die Bibel vielen Menschen zugänglich gemacht wurde. Heute bietet das Internet schnelle, mannigfaltige Verbreitungsmöglichkeiten – die wir auch als Kirche nutzen müssen. Da dürfen wir nicht zurückstehen. Deswegen finde ich es sinnvoll, sich auf den Weg zu machen und unsere Botschaft auf andere Art und Weise mit Bild und Film prägnant rüberzubringen.

 

Die evangelische Kirche ist aber eigentlich eine bildkritische: Wie passt das zu Ihrem Vorhaben?

Ich finde, das passt ganz gut zusammen. Die Bibel erzählt selbst sehr viel in Bildern. Wenn man sie  liest, erzeugen ihre Geschichten in einem selbst eine Art Film - reinstes Kopfkino! Insofern liegt das gar nicht so weit auseinander. Allerdings hat die Reformation Bilder weniger als Medien verstanden, sondern sich dagegen gewandt, sie selbst als heilig zu betrachten. Für mich sind Bilder Medien, die wir nutzen, um die Botschaft des Evangeliums zu vermitteln.

 

Hauptbestandteil der Bibel sind Erzählungen

 

Muss die Kirche demnach zu einem anderen Bildverständnis kommen?

Insofern, als das wir noch ernster nehmen müssen, dass der Hauptbestandteil der Bibel in Erzählungen besteht. Die können wir mit unseren eigenen Erzählungen, unserer Lebensgeschichte, unseren Szenen und Bildern verknüpfen. Der Punkt ist, dass ich mich selbst darin erkenne und mich identifiziere. Mein Lieblingsbeispiel ist das Gleichnis des barmherzigen Samariters. Der Überfallene liegt da voller Schmerzen und wünscht sich, dass Menschen, die er kennt, zu ihm kommen. Doch von denen wird er übersehen – bis ihm ausgerechnet ein Fremder hilft. Das ist eine allgemeine menschliche Erfahrung. Jeder hat eine Verletzungs- und Kränkungsbiographie und weiß, wie es ist, wenn sich uns jemand zuwendet, von dem man es am wenigsten erwartet hat. In der Geschichte wird etwas über das Handeln Gottes ausgesagt, das mit mir zu tun hat – ich spiele also im Grunde selbst mit. Dieses Identifikationsgefühl können wir stützen, wenn wir verstärkt mit Bildern und kleinen Filmen arbeiten.

 

Wenn Sie erzählen, klingt es nur folgerichtig, dass die Kirche die neuen Medien für sich nutzt. Trotzdem sind Sie ja ein Vorreiter, eine Ausnahme. Worin liegt Ihrer Ansicht nach der Vorbehalt begründet, der in der Kirche gegenüber neuen Medien besteht?

Kirche ist allgemein ja eher langsamer. Sie ist das durchaus bewusst, weil sie sich als Garant der Traditionen versteht und eher einen bewahrenden Impetus hat. Wenn so etwas Neues, Schnelles, Buntes wie das Internet kommt, ist das erst einmal ungewöhnlich. Von daher gibt es, glaube ich, eine gewisse Zurückhaltung. Auf der anderen Seite können wir Protestanten so etwas auch ablegen.

 

Auf dem aktuellen Stand der Medienkultur sein

 

Gibt es vielleicht sogar eine Verpflichtung dazu: Die protestantische Kirche ist ja aus einem Aufbruch heraus entstanden?

Zumindest müssen wir uns mit den Chancen und Grenzen der neuen Medien auseinandersetzen. Und es gibt ja auch Kolleginnen und Kollegen, die das sehr aktiv tun – während der Bereich für andere ein Buch mit sieben Siegeln ist. In der freien Wirtschaft hingegen gelten andere Regeln, da sind Imagefilme Standard. Es ist sinnvoll, dass auch die Kirche auf diesem aktuellen Stand der Medienkultur ist.

 

Gab es trotzdem Vorbehalte gegen die Filme?

Mit dem Beichtgeheimnis und der Schweigepflicht sind wir ein Feld, das sonst – schon aus dem eigenen Selbstverständnis - nicht die Öffentlichkeit sucht. Das gilt insbesondere für die Telefonseelsorge und die Beratungsstellen. Jetzt zeigen wir mit dem Medium Film genau das, was sonst geschützt ist – das ist natürlich nicht ganz einfach. Deswegen haben wir zum Beispiel für die Beratungsstelle eine Schauspielerfamilie gebucht. Und auch bei der Notfallseelsorge sind keine echten Betroffenen zu sehen, sondern ehrenamtliche Darsteller.

 

Kirche ist nah bei den Menschen

 

Welches Bild von Kirche wollen Sie mit den Filmen transportieren?

Mir geht es darum, klar zu zeigen, dass die Kirche nah bei den Menschen ist – auch in Krisen. Durch die Seelsorge- und Beratungsangebote lassen wir die Menschen in Extremsituationen nicht allein, sondern begleiten sie, präsent und wach. Ich sehe die Seelsorge immer als Muttersprache der Kirche – und die müssen wir auch mit den neuen Medien sprechen.

 

Welche Rolle spielt der kirchliche Hintergrund, wenn Sie in Krisensituationen agieren?

Das ist extrem unterschiedlich. Ein großer Teil der Professionalität in der Seelsorge ist, flexibel zu sein, zu sehen, wo der Mensch gerade ist und im jeweiligen Kontakt die Rolle anzunehmen, die er braucht.

 

Bedeutet das, dass Kirche für jeden etwas anderes ist?

Das glaube ich ganz bestimmt. Ich denke, es wäre verhängnisvoll zu sagen, dass Kirche für alle dasselbe und identisch ist – das wäre ja furchtbar.

 

Trotzdem hat man manchmal den Eindruck, dass viele Menschen genau das denken: Dass Kirche etwas Starres, Festgelegtes ist.

Ist sie ja leider an manchen Stellen auch. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir zum Beispiel durch diese Filme deutlich machen: Wir sind kein fester schwerfälliger monolithischer Block, sondern vielfältig, offen und aufgrund der Menschenfreundlichkeit Gottes dem Leben in allen Situationen bedingungslos zugewandt.

 

Die Imagefilme zum Ansehen finden Sie hier.

 

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