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"Wir kommen nicht ohne Bilder aus"

Von Nadine Albach

„Du sollst Dir kein Bildnis machen…“ – unter diesem Titel befragte eine Tagung in der Evangelischen Akademie Villigst in Kooperation mit dem Studienkreis „Kirche und Israel“ das Bilderverbot auf seine Bedeutung für die Gegenwart und für den christlich-jüdischen Dialog. Die Veranstaltung sollte einen Kontrapunkt zu dem Jahresthema „Bibel und Bild“ der Evangelischen Kirche Deutschland setzen, das die weitgehende Verdrängung des biblischen Verbots zu Gunsten eines Bilderkults bestätige. Im Interview im Vorfeld der Tagung spricht Studienleiterin Dr. Sabine Federmann über die Missachtung des Bilderverbots und seine verschiedenen Auslegungen in den Religionen.

 

 Grafik: Linda Opgen-Rhein

 

Warum haben Sie das Thema für die Tagung ausgewählt?

Allgemein sind wir hier an der Akademie dafür zuständig, den jüdisch-christlichen Dialog zu fördern und bieten regelmäßig Veranstaltungen und jährlich eine Tagung dazu an. Jedes Jahr überlegen wir neu, was für alle Beteiligten spannend sein könnte und auch, was gerade im gesellschaftlichen Gespräch ist. Dabei orientieren wir uns nicht grundsätzlich an den Jahresthemen der Evangelischen Kirche - aber dieses, Bild und Bibel, hat uns gereizt und der Schwerpunkt Bilderverbot lag nahe. Das ist ein wichtiges Thema gerade im jüdisch-christlichen Dialog und es hat durchaus Brisanz.

 

Was versprechen Sie sich von der Tagung?

Das erste ist, dass sich die Menschen mit der Frage nach dem Bilderverbot auseinandersetzen, die wir im Christentum eigentlich kaum stellen. Dann erhoffe ich mir von den jüdischen Referenten, dass sie Blickwinkel aus der jüdischen Tradition vorstellen, die neue Anregungen geben, was das Bilderverbot eigentlich bedeutet. Drittens hoffe ich, dass die Teilnehmer ein Gefühl dafür bekommen, dass wir im Judentum und Christentum gemeinsame Gebote und Grundlagen haben, die aber sehr unterschiedlich ausleben. Und schließlich wäre es schön, wenn die Menschen eine Idee entwickeln, wie wir mit Bildern kritisch umgehen können, sowohl im religiösen als auch im gesellschaftlichen Rahmen.

 

Warum interessiert Sie gerade der vergleichende Aspekt zwischen Juden- und Christentum?

Vergleich ist zu viel gesagt. Eine Tagung kann den Dialog fördern. Wir haben ein gemeinsames Gebot – wie können wir das leben und auslegen? Das ist eine Frage an beide Religionen. Bei uns Christinnen und Christen ist zum Beispiel für jeden klar, dass man nach dem Gebot, nicht zu töten, leben sollte – aber an das Bilderverbot halten wir uns überhaupt nicht. Auf die Frage nach den Ursachen werden die allermeisten erst einmal keine Antwort haben. Im Mittelalter hat sich das Christentum über das Verbot hinweggesetzt, um den Menschen, die nicht lesen konnten, die Inhalte trotzdem nahezubringen. Aber die Reformation hat das massiv in Frage gestellt – und die reformierten Kirchen haben bis heute meist keine Bilder. Das Thema ist also sogar in der evangelischen Kirche selbst zwiespältig. Und auch im Judentum ist es höchst umstritten: Dort geht es zum Beispiel darum, das man sich auch schon mit Sprache Bilder macht. Allein Gott zu beschreiben, ihm Namen zu geben, ihm Attribute zuzuschreiben – all das sind Bilder. Wir werden bei der Tagung keine fertigen Antworten geben, aber wir können gemeinsam darum ringen, verschiedene Blickwinkel und Haltungen einzunehmen.

 

Wenn man sich in christlichen Kirchen umschaut, wird man vielerorts ja sogar im Gegenteil mit einer großen Bildgewalt konfrontiert. Könnte man dem Christentum also vorwerfen, das Gebot regelrecht zu ignorieren?

Ja, die Juden und vor allem die Muslime tun das. Neben der Trinität ist das eine der ganz großen trennenden Fragen der monotheistischen Religionen. Wir im Christentum beachten das Bilderverbot nicht. Bei den Juden ist die Auslegung teils sehr ambivalent: Das reicht von der Geschichte vom Goldenen Kalb, nach der man sich kein Abbild Gottes schaffen und anbeten darf bis hin zu strengen Orthodoxen, die nicht einmal ein Bild eines Lebewesens dulden. Und der Islam ist in der Hinsicht ganz eindeutig: Hinter dem aktuellen Karikaturenstreik steckt zum Teil auch die strenge Auslegung des Bilderverbots, die gar keine Bilder erlaubt. Das ist ein großer Dissenz zwischen den drei Religionen.

 

Haben Sie eine Erklärung, warum das Christentum sich so von dem Bilderverbot entfernt hat?

Es gibt eine theologische Argumentationslinie, derzufolge die Gesetze des Alten Testaments durch das Evangelium von Jesus als überwunden gelten.

 

Wenn man das aus katholischer Perspektive zu Ende denkt, würden wir ja durch den Verstoß gegen das Bilderverbot ständig sündigen…

Eindeutig. Und dazu gibt es auch im Protestantismus zwei große Strömungen: das Luthertum und die Reformierten. Die Reformierten haben den Bildersturm aus der Reformation authentisch über die Jahrhunderte hinweg gerettet und folgen dem Bilderverbot im Grunde bis heute sehr streng – sie lassen auch keine Symbole oder ein Kreuz auf dem Altar zu. Wenn man allerdings auf die hochmedialisierte Gegenwart schaut und sich die Internetseiten der Reformierten ansieht, stellt man fest, dass bei ihnen auch nicht nur Text steht. Wir sind gerade in der Moderne in einem großen Zwiespalt – denn wir leben ja im Grunde durch Bilder.

 

Sie haben den Karikaturenstreit angesprochen und tatsächlich diskutiert derzeit alle Welt über den Islam und dessen Empfindlichkeit gegenüber Bildern. De facto sind aber auch Christinnen und Christen extrem empfindlich, wenn es um Karikaturen geht – wie passt das zusammen mit der Ignoranz des Bilderverbots?

Dabei geht es um emotionale Verfasstheit: Jemand nimmt das, was mir wichtig ist und zieht es in den „Dreck“. Das ist so, als würde jemand ihre Mutter beleidigen: Selbst, wenn vielleicht etwas dran ist, dürfen sie über ihre Mutter schimpfen, aber ein Anderer nicht. Das gilt auch für das Christentum: Intern darf man meckern, aber wehe, das tut jemand von außen. Theologisch gibt es dafür keine Grundlage – denn wer ist mehr verspottet worden als Jesus? Wenn das Ertragen von Spott zu irgendeiner Religion gehört, dann zum Christentum. Und am Bild dürfen wir eigentlich keinen Anstoß nehmen – daran sind wir selbst schuld. Aber anders als bei den Christinnen und Christen steckt im Islam hinter der Empfindlichkeit im Karikaturenstreit eben nicht nur diese persönliche Ebene, sondern auch die besonders strikte Auslegung des Bilderverbots.

 

War auch eine Überlegung bei der Konzeption der Tagung, über den Islam zu sprechen?

Wir haben darüber nachgedacht. Vor einigen Jahren haben wir auch den Islam einbezogen, aber das führte bei einer dreitägigen Tagung zu weit. Die Diskussion wird dann sehr breit und irgendwann beliebig. Deswegen haben wir uns auf unsere eigentliche Aufgabe, den christlich-jüdischen Dialog, konzentriert.

 

Basieren die Konflikte um das Bilderverbot in den Religionen auf einer Fehlinterpretation? Es gibt Ansätze, die sagen, es geht nicht grundsätzlich um Bilder, sondern nur darum, ein Bild nicht wie Gott anzubeten.

Da ist die jüdische Interpretation sehr spannend: Dort gibt es eine Strömung, die sagt, dass die Geschichte vom Goldenen Kalb am Anfang steht – also die Erfahrung, dass man sich einen Gott gemacht hat und ihn anbetet – und das Bilderverbot eine Replik darauf ist. Das würde heißen, dass es in dem Verbot nicht generell darum geht, sich Bilder von irgendetwas zu machen. Interessanterweise wird nämlich unmittelbar nach der Geschichte des Goldenen Kalbs beschrieben, wie die Lade, in der die Zehn Gebote liegen, mit Engeln verziert ist. Ein generelles Bilderverbot würde einer solchen Darstellung eines göttlichen Boten direkt widersprechen. Also ist die Interpretationslinie die, dass es darum geht, sich keinen Gott zu machen und ihn anzubeten. Aber es gibt im Judentum auch ganz andere Richtungen, die das Bilderverbot sehr grundsätzlich deuten. Sprich: wie das Bilderverbot interpretiert werden soll, ist sehr umstritten. Und wir als Christinnen und Christen haben uns rausgehalten und beschlossen: das gilt für uns nicht mehr! Wir haben uns die Freiheit genommen, auszuwählen.

 

Trotzdem verweisen Sie in der protestantischen Kirche auf die Reformierten: Ist deren Haltung, keine Bilder zu zeigen, überhaupt noch zeitgemäß?

Auch die Reformierten halten das ja nicht mehr durch. Wenn man in die Schweiz geht, gibt es auch dort Kirchen, wo Blumen auf dem Altar stehen und Kerzen angezündet werden. Ich glaube, wir als moderne Menschen kommen nicht ohne Bilder aus. Vielleicht gilt das auch für die altertümlichen Menschen. Deswegen hat es das Goldene Kalb und die Auseinandersetzungen darum gegeben – und insofern ist es ein Gebot, das nie streng durchgehalten wurde. Vielleicht müssen wir Menschen uns Bilder machen. Trotzdem sollten wir uns fragen, wie wir mit ihnen umgehen – und das ist eine sehr moderne Frage! Mit welcher Flut von Bildern leben wir, wie beeinflussen sie uns, welche Wahrheit ziehen wir aus den Bildern, welchen Bildern wollen wir hinterher rennen  - diese bilderkritischen Fragen sind hoch aktuell.

 

Vielleicht könnte man also weniger von einem VERbot sprechen als vielmehr von einem GEbot, Bilder kritisch zu hinterfragen?

Genau, das könnte eine Erkenntnis sein, die man für sich zieht.

 

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